Die Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock stellte sich in "Klartext, Frau Baerbock!" den Bürger-Fragen - von Windkraft bis zu häuslicher Gewalt. Ihre Aussagen im ZDFheuteCheck.
Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, stellt sich den Fragen von Bürgerinnen und Bürgern. Unter anderem zu den Themen Klimawende, Migrationspolitik und Corona.
Gibt es im Norden und Osten mehr Windkraft?
Zur Windkraft sagte Baerbock:
Bewertung: Eine Studie der "Fachagentur Windenergie an Land" hat im Juni 2021 verglichen, wie viel Leistung in welchem Bundesland installiert ist. Rechnet man die Leistung für nord- und ostdeutsche Länder zusammen sowie die für süd- und westdeutsche, ergibt sich ein klares Bild: 37.703 Megawatt Leistung durch Windenergie im Norden und Osten gegenüber 16.719 Megawatt im Westen und Süden. Baerbock liegt mit ihrer Aussage richtig.
Ist Brandenburg wirklich so dicht mit Windrädern bebaut?
Baerbock behauptete:
Bewertung: Zwar hat das Umweltbundesamt 2019 festgestellt, dass Brandenburg rund zwei Prozent der Landesfläche für die Installation von Windenergieanlagen ausgewiesen hat. Allerdings antwortete das brandenburgische Wirtschaftsministerium ZDFheute: "Gegenwärtig werden rund 1,4 Prozent der Landesfläche für die Windenergie genutzt." Baerbock liegt mit ihrer Aussage also falsch.
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Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock stellt sich in der ZDF-Sendung "Klartext" den Fragen der Bürgerinnen und Bürgern.
Hat Julia Klöckner beim Tierwohl-Label versagt?
Baerbock kritisiert die fehlende Fleischkennzeichnung im Supermarkt als Versäumnis von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU):
Hintergrund: Das Bundeskabinett hat am 4. September 2019 den Gesetzentwurf zur Einführung und Verwendung eines Tierwohlkennzeichens beschlossen - das Kennzeichen soll freiwillig sein.
Kritik am Gesetzentwurf kommt von der SPD, die eine unzureichende Umsetzung bemängelt und klare Kriterien für die Tierhaltung vermisst. Das Tierwohlkennzeichen-Gesetz wird in dieser Legislaturperiode auch nicht mehr kommen.
Verschiedene Discounter wie Aldi, Edeka, Rewe und Penny haben bereits ein Fleisch-Siegel zur Tierhaltung eingeführt. Foodwatch sieht in dem Discounter-Fleisch-Siegel aber eine Mogelpackung, weil es nicht garantiere, dass es den Tieren gut geht.
Auch das neue Tierhaltungslabel ist umstritten, da es lediglich die vielen bestehenden Labels in eine von vier Stufen des neuen Siegels sortiert - erklärt Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung.
Er rechnet nach der Einführung des neuen Symbols bei den Stufen 2, 3 und 4 gerade mal mit einer Marktabdeckung von ein bis zwei Prozent. Verbraucher würden also fast ausschließlich Fleisch der Stufe 1 im Supermarkt finden - das entspricht den gesetzlichen Mindestanforderungen.
Bewertung: Annalena Baerbock liegt richtig damit, dass es Julia Klöckner bisher nicht geschafft hat, eine Fleischkennzeichnung zur Tierhaltung gesetzlich zu verankern. Allerdings gibt es auch Kritik an dem Fleischsiegel der Supermärkte.
Zahlen zu Gewalt in Partnerschaften
Zu Gewalt gegen Frauen sagte sie:
Hintergrund: Das Bundeskriminalamt gibt jährlich eine Statistik zu Partnerschaftsgewalt heraus, zuletzt für das Jahr 2019. Sie erfasst aber nur das Hellfeld, also die Fälle, die der Polizei bekannt werden. Das Dunkelfeld dürfte viel größer sein.
Bewertung: Damals gab es 301 Fälle von versuchtem und vollendetem Mord und Totschlag in der Partnerschaft - wobei auch Ex-Partner dazu zählen. Auf 365 Tage im Jahr gerechnet ergibt das, dass etwas weniger als an jedem Tag versucht wurde, eine Frau zu töten. Baerbock liegt mit ihrer Aussage, das werde jeden Tag versucht, also eher richtig.
111 Frauen sind 2019 in Folge von Mord und Totschlag im Zusammenhang mit ihrer Partnerschaft gestorben. Auf 365 Tage gerechnet ergibt das, dass in etwa jeden dritten Tag eine Frau in Deutschland aufgrund von Partnerschaftsgewalt getötet wird - Baerbock liegt da ebenfalls richtig.
Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen
Dazu sagte Baerbock:
Hintergrund: Bei den Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen, auch als "Gender Pay Gap" bezeichnet, unterscheidet man nach unbereinigten und bereinigten Lohnunterschieden. Der unbereinigte "Gender Pay Gap" vergleicht die de facto Bruttostundenverdienste von Männern und Frauen.
Da Frauen aber nach wie vor vermehrt in Berufen wie etwa der Pflege arbeiten, die eher schlecht bezahlt werden, seltener in Führungspositionen arbeiten und öfter in Teilzeit tätig sind als Männer, werden auch die sogenannten bereinigten Lohnunterschiede ermittelt. Hier werden die strukturellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern herausgerechnet, sodass ermittelt werden kann, inwiefern sich die Löhne auch bei identischer Ausbildung, Tätigkeit, etc. unterscheiden würden.
Bewertung: Für das Jahr 2020 hat das Statistische Bundesamt einen unbereinigten Lohnunterschied von 18 Prozent ermittelt. Der bereinigte Lohnunterschied wird dagegen nur alle vier Jahre ermittelt. Die neusten Daten kommen aus dem Jahr 2018, als der Wert bei 6 Prozent lag. Die Aussage von Frau Baerbock ist also korrekt.
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Geld für Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge
Baerbock wirft der Bundesregierung vor, nicht ausreichend Finanzmittel für die Integration bereitzustellen:
Baerbock fordert stattdessen eine dauerhafte Finanzierung dieser Leistungen.
Hintergrund: In Folge der Flüchtlingskrise 2015 stiegen die Ausgaben der Bundesregierung im Politikfeld Flüchtlinge und Asyl massiv an. Seit 2016 legt die Bundesregierung detaillierte Zahlen vor. Zwischen 2018 und 2020 gab die Bundesregierung Rekordwerte von fast 23 Milliarden Euro pro Jahr dafür aus. Darunter fallen aber auch Posten wie "Fluchtursachenbekämpfung" - also Geld, das für Entwicklungshilfe ins Ausland floss.
Bewertung: Die von Baerbock angesprochenen Integrationsleistungen schlugen 2020 mit 2,6 Milliarden Euro im Bundeshaushalt zu Buche. Laut den Finanzplänen bis 2025 sollen die jährlichen Ausgaben dafür auf 1,9 Milliarden Euro sinken.
Schwerwiegender sind die geplanten Kürzungen jedoch bei den Entlastungszahlungen an Länder und Kommunen, die viele der Maßnahmen und Kurse veranstalten. Ab 2022 sollen diese Unterstützungen des Bundes fast vollständig wegfallen, aktuell liegen sie noch bei 3,9 Milliarden im Jahr. Viele Angebote könnten so die finanzielle Grundlage verlieren.
Baerbock liegt korrekt damit, dass nach den aktuellen Finanzplanungen die Bundesmittel für Integration bei Flüchtlingen zurückgefahren werden.
Bahnstrecken reaktivieren für ländliche Gebiete?
Damit ländliche Räume besser ans Verkehrsnetz angeschlossen werden, fordert Baerbock die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken:
Ist das realistisch?
Hintergrund: Die Reaktivierung von alten Bahnstrecken ist in den letzten Jahren ein relevantes Thema in vielen Regionen Deutschlands. Nach der Privatisierung der Bahn im Jahr 1994 hat der Konzern in Ost- wie Westdeutschland viele unrentable Verbindungen eingestellt. Nach Angaben des Interessenverbandes "Allianz pro Schiene" wurden seit 1994 über 3.600 Kilometer Schiene abbestellt.
Teils überwucherten die Strecken, teils wurden sie ganz abgebaut. Das entscheidet darüber, wie leicht sie heute wieder aktiviert werden können. Je günstiger, desto einfacher. Laut "Allianz pro Schiene" wurden seit 1994 über 900 Kilometer stillgelegte Schiene wieder in Dienst genommen.
Bewertung: Im Vergleich mit anderen Bundesländern ist Brandenburg dabei jedoch nicht Schwerpunkt der bisherigen Aktivitäten. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wurden die meisten Kilometer reaktiviert. In Brandenburg nur drei Kilometer.
Der "Verband Deutscher Verkehrsunternehmen" (VDV) hat einen detaillierten Plan aller Strecken erstellt, für die eine Reaktivierung nach Ansicht des Verbands sinnvoll wäre. Dabei spielt die Bevölkerungsverteilung eine zentrale Rolle. In Brandenburg wurde lediglich Havelberg als "Mittelzentrum ohne Anschluss an den Schienenpersonalverkehr" identifiziert. Andere Strecken in dem Bundesland werden aktuell nicht zur Reaktivierung empfohlen.
Baerbock macht sich also für ein Anliegen stark, das viele Verkehrsplaner umtreibt. Tatsächlich könnten Schienen-Reaktivierungen die Infrastruktur verbessern. Das Beispiel Brandenburg scheint hingegen wenig optimal - dort gibt es laut Experten vergleichsweise wenig geeignete Strecken.
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