Zehntausende demonstrieren gegen den Ukraine-Krieg, das Land fordert mehr Hilfe des Westens. Was die Bundesregierung noch tun kann, erklärt Außenministerin Baerbock im ZDF.
ZDF: Man hat gesehen auch heute bei den Demonstrationen: Alle fordern: Tut mehr. Die Ukrainer fordern: Helft uns mehr. Was können Sie mehr tun?
Annalena Baerbock: Ich glaube uns allen bricht es das Herz, weil jeder von uns kennt jemanden, der in der Ukraine lebt. Manche die Großeltern, die Freunde oder wie bei mir in dem Fall Politiker, die ich tagtäglich getroffen habe, mit denen ich ständig im Austausch bin. Deswegen treibt auch mich dieses Gefühl um. Wir wollen alles tun, aber die Forderungen, die jetzt auch zum Teil mit im Raum stehen: Sanktionsforderungen, Importstopp für alle fossilen Energien…
Aber diese Maßnahme, diese Sanktionen gibt es leider nicht, weil sich der russische Präsident in den Kopf gesetzt hat, dieses Land einzunehmen - koste es, was es wolle.
ZDF: Wenn Sie jetzt schon bei Sanktionen sind. Es gibt zum Beispiel Sanktionen gegen russische Banken. Aber davon sind zwei, unter anderem die Gazprombank, ausgenommen. Weil darüber Deutschlands und Italiens Gasgeschäfte laufen, ist das nicht gefährlich? Wenn man bei sowas dann sich innerhalb der EU querlegt, dass es den Eindruck erweckt: Mensch, wir haben eine Außenministerin. Die hält da große flammende Reden von den Vereinten Nationen. Aber wenn es uns dann an den Geldbeutel geht, dann kriegen wir doch weiche Knie?
Baerbock: Auch da muss man, glaube ich, ehrlich sein: Weiche Knie haben wir alle. Weil es ist unberechenbar, was der russische Präsident weiter tut. Deswegen legen wir alles auf den Tisch. Es ist nichts vom Tisch genommen, das sage ich hier ganz klar und deutlich.
Das Wichtige ist aber: Wir müssen Sanktionen, die wir jetzt auf den Weg bringen, wirklich auch auf Strecke halten können, weil es bringt nichts zu sagen: Wir machen morgen eine Sanktion - und eine Woche später nehmen wir sie wieder zurück, wenn im Zweifel noch weiteres Schlimmes in der Ukraine passiert ist, weil wir sie nicht durchhalten können.
Wir schauen uns so auch die beiden Banken an, die Sie angesprochen haben. Wie wir es schaffen können, auch dort weiter vorzugehen. Der Punkt ist - und ich finde wichtig, dass das auch allen bewusst ist -, dass wir in Deutschland, aber auch in Europa insgesamt massiv von russischer Energie abhängig sind. Das haben sich jetzt nicht die Grünen ausgedacht. Wir haben seit langem deutlich gemacht: Wir brauchen mehr Unabhängigkeit. Aber das ist Schnee von gestern. Wir sind jetzt in der Realität von heute.
ZDF: Was würde dann passieren, wenn man sagt: Okay, Erdölimporte sofort stoppen, Gas sofort stoppen? Es würden ja nicht bei uns sofort alle Lichter ausgehen. Oder?
Baerbock: Na, wenn wir das alles sofort vom Netz nehmen würden, schon. Wenn wir uns anschauen, gerade bei der Kohle: 50 Prozent der Importe kommen aus Russland. Und Kohlekraftwerke produzieren Strom und produzieren Wärme bei uns und den anderen Ländern. Deswegen ist mein Kollege Robert Habeck auf Hochdruck daran, mit Blick auf Gas Alternativen einzukaufen, beim Öl auch. Und wir schauen jetzt wieder zum Beispiel, wie man schrittweise vorgehen kann, dass wir nach und nach auch hier den Stecker ziehen. Aber es hat eine Gesamtverantwortung.
Also ich möchte noch einmal deutlich machen: Das zerreißt mich. Das zerreißt uns alle in der Bundesregierung, aber wir müssen, obwohl uns diese Bilder von bombardierten Städten das Herz zerreißt, immer auch einen kühlen Kopf bewahren - weil wir tragen eine Gesamtverantwortung natürlich zuallererst mit Blick auf das Leiden, den Tod in der Ukraine, aber eben auch dafür, das in Deutschland, in Europa wir nicht uns durch Schritte selber härter ins Knie schießen.
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ZDF: Also wollen wir keine Rezession riskieren dafür?
Baerbock: Rezession werden wir haben, das erleben wir jetzt schon. Und wir sind bereit, das habe ich ja immer wieder deutlich gemacht, einen sehr, sehr hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen. Nur wenn morgen in Deutschland in Europa die Lichter ausgehen, heißt das nicht, dass die Panzer stoppen. Wie gesagt, wenn das der Fall wäre, wir würden es sofort tun.
Aber wenn wir jetzt weitere Schritte ergreifen und wie gesagt, wir bereiten weitere Sanktionsmaßnahmen vor, dann müssen wir bereit sein, das auf Dauer auch zu tragen, weil das, was der russische Präsident macht, mit dem Einmarsch, aber auch mit Bruch des Völkerrechts, das muss Konsequenzen auch auf Dauer haben. Und diese Sanktionen müssen alle, es muss allen klar sein, auch auf Strecke halten.
ZDF: Sie sagen auf Dauer - dann gehen Sie davon aus, richten sich darauf ein, dass er das sehr lange durchhalten wird. Die Ukrainer, die haben ja sehr konkrete Forderungen, die sagen auch unseren Korrespondenten und den Reportern, die sich in der Ukraine bewegen, bitte schützt unseren Luftraum.
Baerbock: Ja, weil das wäre das effizienteste Mittel, auch mit Blick auf humanitäre Korridore, den Flugraum schützen oder eine Flugverbotszone. Das klingt erstmal defensiv, wenn man denkt, dann fallen keine Bomben mehr. Aber in der Praxis würde es bedeuten, den Flugraum zu sichern, dass wir, also die Nato, russische Flugzeuge abschießen würden. So könnten wir den Luftraum nur schützen. Und das würde bedeuten, wir würden aktiv in diesen Krieg eingreifen. Und auch hier, ich kann mich nur wiederholen. Aber so schmerzlich ist die Situation, gerade wenn wir jetzt in diesen Krieg mit eingreifen würden, dann kann niemand die Hand dafür ins Feuer legen, dass dieser Krieg nicht auf unsere Teile Europas überschwappt…
ZDF: Das kann auch passieren, wenn dort ein AKW in die Luft fliegt…
Baerbock: Das kann genauso passieren. Deswegen sind wir mit Hochdruck mit Blick auf die Flugverbotszonen dran, gegenüber dem russischen Präsidenten - der Bundeskanzler hat mit ihm ja auch noch mal direkt gesprochen - humanitäre Korridore wo klar ist, die Geflüchteten, die kommen, sind hier sicher. Auch mit Blick auf das Atomkraftwerk. Ich war in der Nacht, als es passiert ist, mit meinen Leuten rund um die Uhr dran, mit der IAEO der Internationalen Atomenergiebehörde zu telefonieren, um sicherzustellen, wie können wir das schützen? Auch da sind wir in Gesprächen.
Es würde ja auch nach Russland überschwappen. Und ich glaube, das ist das Wichtige, immer wieder deutlich zu machen: Dieser Krieg, den der russische Präsident gegen die Ukraine führt, der ist auch ein Krieg, der sich gegen sein eigenes Volk wendet.
Er ruiniert sein eigenes Volk damit und so wie die Menschen jetzt auf die Straße gehen, der Beitrag vorher hat sehr deutlich gemacht, dass ist unglaublich. Die Leute werden verhaftet. Ihnen wird angedroht, ihr kommt auf Jahre ins Gefängnis und trotzdem sagen sie: Es ist nicht unser Krieg! Und ich glaube, das ist wichtig, auch hier in Deutschland immer wieder deutlich zu machen. Das ist nicht der Krieg von Russinnen und Russen, sondern der eines russischen Präsidenten.
ZDF: Ihr Amtskollege aus den USA Blinken hat zu erkennen gegeben, dass Vorbereitungen getroffen werden, eine Exilregierung, eine ukrainische einzurichten, die dann quasi einspringt in dem Moment, wo Präsident Selenskyj etwas passieren sollte, können Sie das bestätigen?
Baerbock: Wir bereiten alle möglichen Szenarien vor. Das habe ich ja deutlich gemacht mit Blick auf die Sanktionen, dass wir alles prüfen und alles genau anschauen. Und auch alle anderen Maßnahmen schauen wir uns genau an. Aber klar ist: Wir stehen an der Seite dieser ukrainischen Regierung. Sie verteidigen ihr Land mit allem, was sie haben. Der Präsident ist selber vor Ort, der Außenminister. Alle sind vor Ort, um ihr Land zu verteidigen, weil das ist ein Kampf um Freiheit. Und daher ist es so wichtig, dass wir die ukrainische Regierung unterstützen. Auch das wurde von unterschiedlichen Staats- und Regierungschefs der Welt, der israelische war ja auch gerade vor Ort, deutlich gemacht - das ist die legitime Regierung der Ukraine und die Weltgemeinschaft steht hinter dieser Regierung.
Das Interview führte ZDF-Moderatorin Marietta Slomka im heute journal.
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