Außenministerin Baerbock ist zu Besuch in Nahost, als sich die Lage in der Ukraine dramatisch zuspitzt. Protokoll einer Reise, die plötzlich an zwei Schauplätzen stattfindet.
Gegen elf Uhr an diesem Freitag im UN-Flüchtlingslager Talbieh, 35 Kilometer südlich der jordanischen Hauptstadt Amman, wird plötzlich die Zeit knapp. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock sitzt eben noch mit Teenagern in einem Klassenzimmer einer UN-Schule, spricht mit ihnen über ihre Wünsche und Hoffnungen. Danach sagt sie, sie wolle die Hilfen ausweiten. Aber jetzt drängt sie los.
Die Kolonne rast zurück Richtung Amman und Baerbock, so lässt sich das im Nachhinein rekonstruieren, ist in den nächsten knapp zwei Stunden vor allem mit Telefonieren beschäftigt.
Ein geplantes Hintergrundgespräch mit den mitreisenden Korrespondenten wird verschoben. Plötzlich schiebt sich vor diesen Nahost-Besuch ein Konflikt, der sowieso immer präsent ist, aber nun eine dramatische Zuspitzung erfährt. Plötzlich gibt es zwei Schauplätze bei dieser Reise. Aus Washington erfährt Baerbock, dass die Amerikaner davon ausgehen, eine Invasion Russlands in der Ukraine stehe unmittelbar bevor.
Baerbocks Schweigen spricht Bände
Bald danach berichten auch Medien von der Lageeinschätzung der amerikanischen Dienste. Baerbock ist da gerade in einer Pressekonferenz mit dem jordanischen Außenminister Ayman Safadi. Ob sie angesichts dieser Warnungen dabei bleibe, Botschaftspersonal nicht abzuziehen, wird die Außenministerin gefragt.
Man tausche sich ständig mit den Partnern über Sicherheitsfragen aus, sagt Baerbock. Es ist ihre mit Abstand kürzeste Antwort. Und das Schweigen danach spricht Bände. Klar ist, dass da etwas in Bewegung kommt. Dass die Bedrohlichkeit des Konflikts auch für die Bundesregierung eine neue Qualität bekommt. Und dass eine schwerwiegende Entscheidung ansteht.
Selbst Baerbocks Herzensthema gerät in den Hintergrund
Kurz danach rauscht die Kolonne zum Flughafen von Amman. Von Jordanien geht es weiter nach Kairo. Auch im Flugzeug kann Baerbock telefonieren. Und selbst nach der Landung in Ägyptens Hauptstadt bleibt die Außenministerin noch eine Weile im Regierungsflieger sitzen. Die Busse, das Empfangs-Komitee - alle warten auf dem Vorfeld.
Später am Abend besucht Baerbock im Garten der Vertretung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Kairos Botschaftsviertel eine Ausstellung mit Klimaprojekten. Eigentlich ein Thema, das ihr am Herzen liegt. Aber sie bleibt nicht lange. Kaum hat sie die aufgereihten Stände abgeschritten, ein paar Worte gewechselt, fährt sie schon wieder zurück ins Hotel. Dort gehen die Telefonate weiter.
Das Gefühl ist: Die Lage in der Ukraine hat sich verschärft
Gegen 21 Uhr ein Gespräch in einem Hotelzimmer mit Blick auf den Nil und die neonbunten Restaurantschiffe: Es darf nichts draus zitiert werden, aber eine Stunde später verlassen die Korrespondenten den Raum mit dem Gefühl, dass sich aus Sicht Berlins die Lage verschärft hat.
Am nächsten Tag muss Baerbock erst mal eine Weile beim Präsidentenpalast warten, ehe man dort registriert, dass der Gast aus Deutschland da ist. Gegen Mittag tritt sie dann mit Ägyptens Außenminister Sameh Shukri bei einer Pressekonferenz auf. Natürlich wird sie nach der Ukraine gefragt. Die USA haben ihr Botschaftspersonal bereits vor zwei Wochen reduziert. Andere Staaten sind dem gefolgt. Und Deutschland?
Über Nacht hat Baerbock entschieden
Würde es die Lage in der Ukraine weiter destabilisieren, wenn Berlin nachzieht? Oder ist die Situation inzwischen so, dass man zum Schutz der eigenen Leute genau das jetzt machen muss? Über Nacht scheint Baerbock eine Entscheidung getroffen zu haben. Jetzt zieht auch Deutschland Personal ab.
"Wir werden unsere Botschaft in Kiew offenhalten," erklärt Baerbock, "aber das entsandte diplomatische Personal dort reduzieren." Familienangehörige würden jetzt ebenfalls das Land verlassen. Das Generalkonsulat werde vorübergehend nach Lemberg verlegt. Das Auswärtige Amt spricht außerdem eine Reisewarnung für die Ukraine aus. "Deutsche, die sich dort aufhalten werden zur Ausreise aufgefordert", so Baerbock.
Baerbock sieht keine Zeichen der Deeskalation, im Gegenteil
Sie warnt Russland, dass eine Invasion in die Ukraine einen "drastischen Preis" für Russland habe. Sie sehe dort aber keine Zeichen von Deeskalation, eher im Gegenteil.
Dann fliegt sie zurück nach Berlin, zurück in Richtung eines drohenden Krieges. Bundeskanzler Scholz wird am Montag nach Kiew reisen, am Dienstag dann nach Moskau. Es soll auch ein Zeichen sein, dass man die Hoffnung auf eine diplomatische Lösung noch nicht aufgegeben hat.
- Biden warnt Putin: "Wir wissen, was Ihr tut"
Die Diplomatie in der Ukraine-Krise läuft auf Hochtouren. Biden und Putin telefonieren. "Wir wissen, was Ihr tut", sei die Botschaft an Moskau, so ZDF-US-Korrespondentin Bates.
Thomas Reichart ist Korrespondent im ZDF-Hauptsstadtstudio und hat die Außenministerin auf ihrer Nahost-Reise begleitet.