Die gewaltige Explosion im Hafen von Beirut wird nicht nur den krisengebeutelten Libanon verändern. Sie könnte auch Einfluss auf die Lage im Nahen Osten haben.
Der Libanon ist zwar ein kleines Land, nimmt aber wegen seiner Lage im Nahen Osten eine zentrale Rolle ein. Der schiitische Iran buhlt hier genauso um Einfluss wie sunnitische Staaten der Region, vor allem Saudi-Arabien. Mit dem benachbarten Bürgerkriegsland Syrien ist der Libanon eng verbunden. Und Israels Gegner sehen das Land am Mittelmeer als Frontstaat im Kampf gegen den Erzfeind - nicht zuletzt die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah. Frankreich wiederum pflegt als frühere Mandatsmacht ein besonderes Verhältnis zum Zedernstaat.
- "Katastrophe macht die Lage noch schlimmer"
Die Explosion im Hafen von Beirut trifft den Libanon mitten in der Wirtschaftskrise. Die Regierung ist noch nicht lange im Amt - und steht vor einem Berg an Problemen.
Syrien ist auf Libanon angewiesen
Die beiden Staaten haben auf allen Ebenen engste Beziehungen. Die international isolierte Regierung in Damaskus unter Baschar al-Assad nutzt den Nachbarn nicht zuletzt als Tor zur Welt, um Sanktionen zu umgehen. Der Handel über die Grenze läuft weiter, Devisen fließen aus dem Libanon Richtung Syrien. Als Libanons Wirtschaft in eine Krise rutschte, spürte das auch der Nachbar schmerzlich.
Im syrischen Konflikt kämpft die Iran-treue Hisbollah an der Seite der Regierungstruppen. Doch die Explosion und deren Folgen treffen auch die im Libanon mächtige Organisation. Ihr dürften weniger Ressourcen zur Verfügung stehen.
Und dann leben noch mehr als eine Million syrische Flüchtlinge im Libanon - gemessen an der Einwohnerzahl so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Auch ihre Not dürfte jetzt weiter wachsen. Zudem diente der massiv zerstörte Beiruter Hafen der Einfuhr von Hilfsgütern für das Bürgerkriegsland.
Israel sieht Chance zur Beruhigung der Lage
Israel und der Libanon sind verfeindet, offiziell sind sie noch im Krieg miteinander. Doch die verheerende Explosion hatte sogar Solidaritätsbekundungen in Israel zur Folge. Die israelische Regierung ist bereit, libanesischen Opfern auf Zypern medizinische Hilfe zu leisten. Humanität sei wichtiger als jeder Konflikt, twitterte auch Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai.
- Gefechte an Israels Grenze zum Libanon
Angespannte Sicherheitslage im Norden Israels: Auf den Golan-Höhen kam es zu Gefechten, als Hisbollah-Kämpfer versucht haben sollen, aus dem Libanon nach Israel zu gelangen.
Kurz vor der Explosion hatten die Spannungen wieder zugenommen. Israel rechnete mit Vergeltungsaktionen, weil ein Hisbollah-Sender den Nachbarn für den Tod eines Mitglieds der libanesischen Miliz in Syrien verantwortlich machte. Israel verstärkte daraufhin seine Truppen im Norden. Die Hisbollah bestreitet das Existenzrecht Israels. Israelische Experten gehen davon aus, dass die Explosion zur Beruhigung der Lage beitragen könnte.
Iran sagt uneingeschränkte Solidarität zu
Der Einfluss Teherans im Libanon ist groß und läuft vor allem über die Hisbollah. Die Organisation kontrolliert im Libanon ganze Regionen, etwa das Grenzgebiet zu Israel. Die iranische Führung hat dem Libanon uneingeschränkte Solidarität und jegliche Hilfe versprochen.
Aber der Iran ist wegen der US-Sanktionen und der Corona-Krise selbst in einer akuten Wirtschaftskrise und kann sich Hilfe für den Libanon eigentlich nicht leisten. Nach Ansicht von Beobachtern könnte Teheran der Hisbollah aber raten, ihre Aktivitäten bis zum Ende des Wiederaufbaus der Hauptstadt zu stoppen. Die iranischen Revolutionsgarden wollen nach Angaben ihres Kommandeurs unbedingt bei den Aufbauarbeiten in Beirut mitwirken.
Freund Frankreich fordert politischen Wandel
Paris und Beirut sind eng miteinander verbunden. Rund 20 Jahre stand der Libanon nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches bis 1941 unter französischem Mandat. Nach dem Beginn des Bürgerkriegs wanderten zahlreiche Libanesen nach Frankreich aus. Nach dem Ende dieses Konflikts vor 30 Jahren half Frankreich beim wirtschaftlichen Wiederaufbau.
Vor diesem Hintergrund war es nun Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der am Donnerstag kurz nach der Katastrophe nach Beirut reiste, internationale Unterstützung versprach und selbst Hilfe schickte.
- Macron zwischen Hass und Jubel
Frankreichs Macron und seinem libanesischen Kollegen schlägt in Beirut Hass entgegen. Macron alleine wird von den Libanesen allerdings gefeiert.
Auch wenn Frankreich die Unterstützung für den Libanon als bedingungslos bezeichnete, erneuerte Macron frühere Forderungen nach einem tiefgreifenden politischen Wandel in dem Mittelmeerstaat.
Internationale Hilfe nur gegen Reformen
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) will dem Libanon in seiner schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, die schon vor der Explosion ausgebrochen war, helfen. Er verlangt aber ebenfalls Reformen. Das dürfte auch die Devise der internationalen Gemeinschaft sein: Geld im großen Maßstab jenseits der Nothilfe nur gegen wirkliche politische Veränderungen.
Reformen hat sich Libanons politische Elite in den vergangenen Jahren aber beharrlich verweigert. Doch die Explosion lässt die Wut der Menschen auf die Mächtigen im Libanon weiter wachsen. Für Samstag haben Aktivisten zu Protesten gegen die Regierung aufgerufen. Motto: Tretet zurück oder hängt am Galgen.