Keine und falsche Stimmzettel, nach 18 Uhr geöffnet: Nach der Pannenserie am Berliner Wahlsonntag könnte in 400 Wahllokalen neu gewählt werden. Entschieden wird im Oktober.
Nach der Pannenserie bei der Bundestagswahl in Berlin plädieren die Abgeordneten der Ampel-Parteien im Wahlprüfungsausschuss des Bundestags für eine teilweise Wiederholung der Wahl. Dies solle in etwa 400 der rund 2.300 Wahllokale geschehen, wie der "Spiegel" zuerst berichtete. Betroffen wären alle zwölf Berliner Bundestags-Wahlkreise.
Die Bundestagsverwaltung solle eine entsprechende Beschlussempfehlung erarbeiten, über die der Bundestag allerdings erst im Oktober abstimmen könnte. Dabei geht es um 400 Wahllokale in den Wahlbezirken:
- Reinickendorf
- Mitte, Pankow
- Steglitz-Zehlendorf
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Friedrichshain-Kreuzberg
Neuwahlen im Frühjahr möglich
Das Wahlrecht sei die zentrale Beteiligungsmöglichkeit der Bürger, sagte der SPD-Obmann im Wahlprüfungsausschusses, Johannes Fechner, dem "Spiegel". "Daher müssen Wahlfehler dieses Ausmaßes durch Neuwahlen korrigiert werden, damit alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen die Chance haben, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und damit ihre Stimmen das ihnen zustehende Gewicht bekommen."
Am Wahlsonntag gab es in Berliner Wahllokalen Unstimmigkeiten. Eine flächendeckende Neuwahl wird aber nicht nötig, erklärte heute der Berliner Senat. Die Wahlpannen seien nicht mandatsrelevant oder wahlverfälschend.
Wie Fechner dem rbb sagte, sei bislang nur eine Grundsatzentscheidung seitens der Ampel-Koalition im Bund getroffen. Die eigentliche Abstimmung im Wahlprüfungsausschuss gebe es allerdings voraussichtlich erst im Oktober. Anschließend müsse noch im Bundestag selbst darüber abgestimmt werden. Dies könne wenige Tage danach passieren. Sollte auch das Bundestagsplenum für die Wiederholung der Wahl in Berlin stimmen, hält Fechner eine teilweise Neuwahl in Berlin im Frühjahr 2023 für realistisch.
Bei den Wahlen zum Bundestag und zeitgleich zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September gab es in der Hauptstadt zahlreiche Pannen und organisatorische Probleme. Dazu zählten falsche oder fehlende Stimmzettel, die zeitweise Schließung von Wahllokalen und lange Schlangen davor mit teils stundenlangen Wartezeiten. Zudem hatten Wahllokale teils noch weit nach 18 Uhr geöffnet.
Union: "Definitiv zu wenig"
Bundeswahlleiter Georg Thiel, der ein "komplettes systematisches Versagen der Wahlorganisation" in Berlin bemängelt, hat eine komplette Wahlwiederholung in sechs der insgesamt zwölf Wahlkreise verlangt - das wären rund 1.200 Wahllokale. Auch die Union fordert eine komplette Neuwahl in sechs Wahlkreisen. Außerdem will sie in 50 ausgewählten Wahllokalen der sechs anderen Wahlkreise nochmals wählen lassen.
- Neuwahlen in Berlin? Chaos größer als gedacht
Keine Stimmzettel, keine Kabinen, Schlangen bis weit nach 18 Uhr: Am Super-Wahltag in Berlin lief vieles schief. Nun muss der Bundestag entscheiden, ob es Neuwahlen gibt.
Der Vorschlag der Ampel "ist definitiv zu wenig und wird dem Berliner Wahlchaos nicht ansatzweise gerecht", sagte der Ausschuss-Berichterstatter der CDU/CSU, Patrick Schnieder (CDU), der Deutschen Presse-Agentur. "Wir halten es für unerlässlich, dass in mehr als 1.200 Wahllokalen neu gewählt wird, während die Ampel sich auf 400 beschränken möchte."
Der Generalsekretär der Berliner CDU, Stefan Evers, erklärte am Donnerstagabend, die Stadt müsse sich "in großem Umfang auf Wiederholungswahlen einstellen". Der Senat habe aber trotz aller Warnungen noch keine Vorbereitungen getroffen, sagte Evers. "Kopf in den Sand ist keine Strategie, Frau Giffey", kritisierte Evers an die Adresse der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).
Wiederholung der anderen drei offen
Ob auch die Wahlen zum Abgeordnetenhaus, zum Bezirk und der Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungskonzerne wiederholt werden müssen, ist jedoch noch offen. Darüber entscheiden im Herbst das Berliner Landesverfassungsgericht.
Am Mittwoch hatte eine vom Berliner Senat eingesetzte Expertenkommission ihren Bericht zum Wahlchaos vorgelegt und zahlreiche Defizite aufgelistet. Das habe unter anderem an unklaren Verantwortlichkeiten gelegen, auch sei die Komplexität des Wahlsonntags massiv unterschätzt worden.