Die Bundestagswahl in Berlin 2021 steht wegen zahlreicher Fehler auf dem Prüfstand. Ob sie wiederholt werden muss, entscheidet diese Woche der Bundestag.
Es war ein echtes Wahldebakel, das Berlin am 26. September 2021 erlebte. Doch nicht eine Partei fiel durch, sondern die Berliner Verwaltung.
Sie war mit der Durchführung der parallel abgehaltenen Bundestags-, Abgeordnetenhaus- und Kommunalwahlen sowie eines Volksentscheids überfordert.
Die Folge: Stundenlanges Warten vor den Wahllokalen, falsche Stimmzettel und Wählen nach 18 Uhr. Von "systematischem Versagen“ sprach der Bundeswahlleiter Georg Thiel.
Am Wahlsonntag gab es in Berliner Wahllokalen Unstimmigkeiten. Eine flächendeckende Neuwahl wird aber nicht nötig, erklärte heute der Berliner Senat. Die Wahlpannen seien nicht mandatsrelevant oder wahlverfälschend.
Tausende Einsprüche gegen das Wahlergebnis in Berlin
Dieses Wahlchaos hat ein juristisches Nachspiel. Tausende Institutionen und Privatpersonen haben Einspruch eingelegt, darunter der Bundeswahlleiter selbst.
Während die Berliner Wahlen auf Landes- und Kommunalebene direkt von einem Gericht, nämlich dem Berliner Verfassungsgerichtshof, überprüft werden, ist für Einsprüche gegen die Bundestagswahl zunächst der Bundestag zuständig.
Damit befinden -zumindest in erster Instanz- die Parlamentarier selbst über das Schicksal ihrer Mandate. So sieht es das Grundgesetz vor, schließlich geht es um Volkes Stimme(n), für die zuvorderst das Parlament zuständig ist.
Muss die Bundestagswahl in großen Teilen Berlins wiederholt werden?
Erst in zweiter Instanz kommt das Bundesverfassungsgericht ins Spiel. Denn gegen den Bundestagsbeschluss ist eine Beschwerde in Karlsruhe möglich – und angesichts der Vielzahl von Einsprüchen auch wahrscheinlich.
Im Bundestag prüft der Wahlprüfungsausschuss aus Vertretern aller Fraktionen die Einsprüche. Ein knappes Jahr nach Ablauf der Einspruchsfrist will er am Montag vorschlagen, in welchen der 2.258 Berliner Wahlbezirken die Bundestagswahl wiederholt werden soll.
Am Freitag wird dann der Bundestag darüber abstimmen. Es deutet sich eine Wiederholungswahl in ungefähr 430 Bezirken an.
Kernfrage: Ab wann ist eine Wahl ungültig?
Es ist eine schwierige Prüfung, auch weil nicht alle Wahlverstöße sauber dokumentiert sind. Außerdem muss abgewogen werden: Welche Fehler wiegen so schwer, dass es gerechtfertigt ist, eine Vielzahl gültig abgegebener Stimmen für nichtig zu erklären?
Ein juristischer Prüfungsmaßstab also, der von einem Politikergremium anzuwenden ist. Das sieht die Grünen-Abgeordnete Awet Tesfaiesus kritisch. Die Juristin ist selbst Mitglied des Wahlprüfungsausschusses.
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Im Gespräch mit ZDFheute kritisiert sie, dass die Prüfung dort nicht allein nach rechtlichen Kriterien ablaufe, sondern auch politische Erwägungen eine Rolle spielten, etwa die Frage, wie eine umfassende Wahlwiederholung beim Wähler ankomme.
Rechtswissenschaftler kritisiert die lange Verfahrensdauer
Um einer Politisierung der Wahlprüfung entgegenzuwirken, schlägt Tesfaiesus vor, die Wahlprüfung statt dem Bundestag einem Gremium aus Richtern und Abgeordneten zu übertragen. Dazu müsste das Grundgesetz geändert werden.
Anders als etwa in der Schweiz, wo über Beschwerden innerhalb von nur zehn Tagen entschieden werden muss, existiert für die Überprüfung der deutschen Bundestagswahl keine gesetzliche Höchstdauer.
Wird über die Wahl in Berlin erst 2023 entschieden?
Es sei schon vorgekommen, dass erst nach vier oder fünf Jahren eine endgültige Entscheidung getroffen wurde, nachdem die Legislaturperiode schon abgelaufen war, berichtet Brade.
Eine abschließende Entscheidung im jetzigen Verfahren hält Brade frühestens Ende 2023 für möglich. Dann wäre die Hälfte der Legislaturperiode abgelaufen.
Anders als die Bundestagswahl könnten die Berliner Landes- und Kommunalwahlen bis dahin längst wiederholt sein. Denn darüber will der Berliner Verfassungsgerichtshof Mitte November entscheiden.
Samuel Kirsch ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.