Sorge vor Blackout in Kiew: Schreckgespenst Evakuierung
Sorge vor Blackout in Kiew:Das Schreckgespenst der Evakuierung
von Julia Klaus
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Kiews Bürgermeister Klitschko hat vor einem Blackout gewarnt und eine Evakuierung angedeutet - die Stadtverwaltung rudert nun zurück. Warum diese Frage so heikel ist.
Menschen gehen während eines Stromausfalls in Kiew über eine Straße (6.11.2022) - wird die Stadt evakuiert?
Quelle: AP
Im ersten Moment klingt es nach Wortklauberei. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hatte am Samstag vor einem Zusammenbruch der Versorgung seiner Stadt gewarnt: Wenn Strom, Wärme und Wasser nicht mehr funktionieren - es also einen totalen Blackout gibt - sollten die Menschen überlegen, ob sie zeitweise außerhalb der Stadt unterkommen. Klitschko beschrieb ein mögliches Szenario - und schließt es damit nicht mehr aus.
Die "New York Times" berichtete dann über konkrete Evakuierungspläne für die gesamte Stadt. Das könnte schätzungsweise drei Millionen Menschen betreffen, die noch in Kiew leben. Doch dem widersprach die Verwaltung am Sonntag. Kiews Sicherheitsbeauftragter Roman Tkatschuk betonte:
Der Winter kommt und die Menschen in der Ukraine müssen sich auf die Kälte vorbereiten. Zerstörte Häuser werden wieder aufgebaut und für die Soldaten werden Öfen bereitgestellt. 27.10.2022 | 6:00 min
Das schwierige E-Wort
Warum ukrainische Stellen nun nichts mehr von konkreten Plänen wissen wollen, dürfte auch an der Bedeutung liegen, die eine Evakuierung hätte.
Der Politikwissenschaftler Frank Sauer von der Bundeswehr-Uni München analysiert gegenüber ZDFheute:
Historisch betrachtet gibt es Vorbilder für eine mögliche Evakuierung. Bei der deutschen Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg wurden vor allem Kinder aufs Land gebracht, um sie vor Bombardierungen zu schützen. In Großbritannien wurden Teile der britischen Bevölkerung aufgefordert, die Städte zu verlassen. In Paris bestiegen viele Mütter mit Kindern in den letzten Kriegstagen Sonderzüge hinaus aus der Stadt.
"Unter Evakuierung versteht man eine zeitlich begrenzte Migration von Bevölkerung in eine andere Gegend aufgrund einer Gefährdungslage", erklärt der Historiker Johannes Großmann von der Eberhard Karls Uni Tübingen.
Dabei unterscheidet man:
Präventive Evakuierung - vor einer absoluten Gefahrenlage
Notfall-Evakuierung - während einer akuten Bedrohung
Ex-Post - wenn die Zerstörung schon stattgefunden hat
Noch vor wenigen Wochen exportierte die Ukraine Strom nach Europa. Jetzt steht das eigene Netz vor dem Kollaps. Um den abzuwenden, wird der knappe Strom gezielt zugeteilt.
von Dara Hassanzadeh, Kiew
Evakuierung - oder das, was Russland so nennt
Im Ukraine-Krieg wird der Begriff auch umgedeutet und missbraucht, wie Historiker Jan Claas Behrends vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung weiß: "Russland spricht teils von Evakuierungen und gibt vor, die Zivilbevölkerung zu schützen - tatsächlich werden viele Menschen in den besetzten Gebieten aber verschleppt und deportiert."
Darauf machte auch Präsidentenberater Mychailo Podoljak aufmerksam. Am Montag schrieb er, dass russisches Militär die Bewohner von Cherson vertreibe, Russland dies jedoch Evakuierung nenne.
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Für Krisensituationen - etwa Naturkatastrophen oder Reaktorunfälle - haben die meisten Regierungen Notfallpläne in der Schublade. Auch in Deutschland sind Behörden theoretisch auf diverse Krisen vorbereitet - dass die Pläne in der Praxis aber nicht immer funktionieren, zeigte vergangenes Jahr die Flutkatastrophe im Ahrtal.
Wann evakuiert man nun aber eine europäische Großstadt im Krieg? "Das ist Ermessenssache", sagt Historiker Behrends. Mit Blick auf Kiew und den anstehenden Winter gibt er zu bedenken: "In Kiew stehen viele sowjetische Hochhaus-Blocks. Wenn dort der Fahrstuhl nicht fährt, ist das ein Riesenproblem. Sie können Wasser nicht einfach mal in den 18. Stock bringen."
Historiker Großmann ergänzt: "Die meisten Evakuierungen werden bis zum letzten Moment geheim gehalten. Denn eine frühzeitige Bekanntgabe würde dafür sorgen, dass Menschen sich eigenständig auf den Weg machen und die staatlichen Planungen durcheinanderbringen."
Die ukrainische Energieinfrastruktur ist strukturell geschädigt und die russischen Angriffe dürften weitergehen. Aber die Moral der Bevölkerung wird wahrscheinlich nicht brechen.
von Christian Mölling, András Rácz
Stromausfälle im Herbst - Hunger im Winter?
In Kiew und anderen Landesteilen gibt es regelmäßig Stromausfälle - teils angekündigt, um die angegriffenen Netze nicht zu überlasten. Teils nicht angekündigt:
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Mit Blick auf den Winter warnt die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte nun vor einer Hungerkatastrophe in der Ukraine: "Sobald die Temperaturen unter null sinken, werden viele Menschen sterben, wenn Hilfe ausbleibt." Wie, ob und wen man wann evakuiert - das wird die Ukraine die kommenden Wochen beschäftigen.
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.