In Brasilien wächst die Kritik am rechtspopulistischen Präsidenten wegen seiner Corona-Politik. Mit Plastiktüten über dem Kopf protestieren Menschen gegen die Gesundheitspolitik.
Auch an diesem Wochenende haben die Menschen in Brasilien erneut gegen Präsident Jair Bolsonaro demonstriert und ein Amtsenthebungsverfahren gefordert. Einige vor dem Parlamentsgebäude stehende Demonstranten trugen gelbe Plastiktüten über dem Kopf - damit verwiesen sie auf die dramatische Lage in der Amazonasregion, wo Corona-Patienten verstorben waren, weil Krankenhäusern der Sauerstoff ausging.
"Fora Bolsonaro" stand auf den Plakaten, die Tausende Brasilianer aus ihren Autofensterscheiben hielten. Das bedeutet "Weg mit Bolsonaro". Es sind die ersten großen Massenproteste seit längerer Zeit in Brasilien, organisiert in Autokarawanen in vielen großen Städten.
Anlass sind die Versäumnisse der Politik in der Corona-Pandemie. In der Amazonas-Metropole Manaus, aber auch in nördlichen Bundesstaaten, ist die Lage katastrophal. Dabei werfen die Kritiker dem rechtspopulistischen Präsidenten vor, auf die sich abzeichnende Krise in den Krankenhäusern nicht rechtzeitig reagiert zu haben.
Almeida: "Keine Führung in dieser Covid-Pandemie"
Es fehlt an Sauerstoff und an Intensivbetten, um die Patienten zu behandeln. Dramatische Appelle der Belegschaften aus den kollabierenden Hospitälern setzen die Regierung in Brasilia unter Druck. Sie soll schon vor Wochen von dem sich abzeichnenden Notstand gewusst, aber viel zu spät reagiert haben.
Politikwissenschaftler Professor Wellington Almeida von der Universität Brasilia (UNB) sagt:
Es gibt Organisationen, die Bolsonaro vorwerfen, die Amazonas-Stadt Manaus wegen ihres hohen indigenen Bevölkerungsanteils bewusst vernachlässigt zu haben; sie werfen dem Präsidenten Völkermord vor.
Kommt ein Amtsenthebungsverfahren?
Für den rechtspopulistische Präsidenten Jair Bolsonaro hat das nun politische Konsequenzen. Oppositionsparteien forcieren die Bemühungen um ein Amtsenthebungsverfahren. Ein Zusammenschluss christlicher Organisationen hat in dieser Woche ebenfalls ein Impeachment-Verfahren eingereicht.
Gemäß der brasilianischen Verfassung kann ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten eingeleitet werden, wenn dieser verdächtigt wird, schwere Verstöße gegen seine verfassungsrechtlichen Pflichten begangen zu haben. Die Abgeordnetenkammer kann den Senat zu diesem Verfahren mit Zwei-Drittel-Mehrheit ermächtigen.
Ungewisse Wochen für Brasiliens Führung
Dann ist es Sache des Senats, das Verfahren zunächst förmlich einzuleiten und anschließend mit Zwei-Drittel-Mehrheit über die Absetzung zu entscheiden. Die in der Verfassung aufgelisteten Gründe für Verantwortungsdelikte sind allerdings recht vage und daher Auslegungssache.
Politikwissenschaftler Almeida erwartet unvorhersehbare Wochen:
Eine wichtige Rolle spiele auch, welche politische Richtung sich bei der Wahl um die Spitze der Abgeordnetenkammer durchsetzen wird.
- Brasilianer demonstrieren gegen Bolsonaro
Mehr als 200.000 Menschen sind in Brasilien durch das Coronavirus gestorben. Das treibt Tausende Demonstrierende auf die Straße. Ihre Forderung: die Amtsenthebung des Präsidenten.
Ein Drittel der Wahlberechtigten ist für den Amtsinhaber
Trotz der umstrittenen Corona-Politik kann Bolsonaro nach wie vor auf einen relativ stabilen Block von Unterstützern in der Wählerschaft bauen. Sie wird derzeit auf rund ein Drittel der Wahlberechtigten geschätzt.
Erst am Mittwoch demonstrierten in Sao Paulo Mitarbeiter aus dem Gastronomiegewerbe, die ähnlich wie der Präsident eine Lockerung der von den Regionalregierungen erlassenen Lockdown-Bestimmungen forderten.
Corona-Hilfsgelder könnten den Ausschlag geben
Zudem ist Brasilien mit rund 104 Toten pro 100.000 Einwohnern sogar aus den Top 25 der Tabelle der Johns-Hopkins-Universität der weltweit tödlichsten Länder herausgefallen. Entscheidend für die Stimmung im Land wird sein, wie sich das Infektionsgeschehen nach Auftauchen der "brasilianischen Mutation" des Virus entwickelt.
Zu wenige Betten und kein Sauerstoff: Brasiliens Kliniken in Manaus sind komplett - auch wegen teils stark steigenden Infektionszahlen.
Die Zustimmung zu Bolsonaros Politik ist auch eng an die staatliche Auszahlung der Corona-Hilfsgelder gekoppelt, von der die ärmeren Bevölkerungsschichten profitieren.
Diese Zahlungen stehen allerdings auf der Kippe, und damit könnten auch die Zustimmungsraten für die Bolsonaro-Regierung weiter bröckeln. Das wiederum könnte den Druck während eines möglichen Amtsenthebungsverfahrens auf die Parlamente erhöhen.