Bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien führt Herausforderer Lula vor Amtsinhaber Bolsonaro. Der schürt Angst vor einem Putsch, sollte er verlieren.
In Brasilien sind die Fronten zwischen der Anhängerschaft des Präsidenten Bolsonaros und des Ex-Präsidenten Lulas verhärtet.
"Ding-Ding" macht der kleine Kasten, der ein wenig an eine zu groß geratene Spielkasse eines Kaufladens für Kinder erinnert, jedes Mal, wenn man die Eingabe einer Nummer bestätigt. "Ding-Ding-Ding-Ding" erklingt es dann triumphierend, wenn der Wahlcomputer zufrieden und der Vorgang abgeschlossen ist.
Fünf Nummern, eine pro Position, müssen sich die Brasilianer merken, denn neben dem Präsidentenpalast sind am Sonntag auch die Parlamente und Gouverneurspaläste des Landes neu zu besetzen. Bei solch einer Mammutaufgabe mit gut 156 Millionen Wahlberechtigten bringt die elektronische Wahlurne logistische Vorteile. Seit mehr als 20 Jahren wählt Brasilien so, ohne nennenswerte Zwischenfälle.
Elektronische Wahlen sind in Brasilien Routine
"Es ist ein absolut sicheres System", sagt Rudi Baldi Loewenkron, Richter der Wahlbehörde in Rio de Janeiro gegenüber dem ZDF. "Wir sind sehr stolz auf unseren elektronischen Wahlprozess." Die Urnen sind nicht ans Internet angeschlossen, können aber automatisch ausgelesen werden.
Die Vorführung der elektronischen Wahlurnen ist Routine bei jeder Wahl, aber in diesem Jahr besonders wichtig. Seit Monaten sät Brasiliens rechtsaußen-Präsident Bolsonaro Zweifel an der Integrität der Wahl.
Am Sonntag wird in Brasilien nach vier Jahren Präsidentschaft unter Bolsonaro wieder gewählt. Sein Herausforderer ist der linke Ex-Präsident Lula da Silva.
In den Umfragen liegt er deutlich hinter seinem linken Herausforderer Lula zurück, behauptet aber, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen, sollte er die Wahl verlieren. Belege dafür nennt er keine, doch schon jetzt glauben ihm viele seiner Anhänger. Das beunruhigt Beobachter aus Zivilgesellschaft und Institutionen. Einige aus dem politischen Umfeld Bolsonaros hatten laut mit dem Gedanken eines Putsches gespielt. Darauf gibt es keine Hinweise.
Doch auch ohne einen offiziellen Putsch ist nicht auszuschließen, dass fanatisierte und dank der durch ihn gelockerten Waffengesetze bewaffnete Anhänger des Präsidenten gewalttätig werden könnten. Selbst wenn nicht: Ein Schaden für die Demokratie sei bereits entstanden, meint Oliver Stuenkel, Politikwissenschaftler aus Sao Paulo:
"Ein erheblicher Teil der Wähler Bolsonaros glaubt, dass die Wahl gestohlen wird. Daher werden Millionen von Brasilianern die Legitimität der nächsten Regierung nicht akzeptieren, selbst wenn Bolsonaro Lula anruft, um ihm zum Sieg zu gratulieren. Damit wird es schwierig zu regieren."
Die vom Präsidenten willkürlich angezettelte Diskussion um die Wahl zeigt, wie wenig Wert er auf einen von Inhalten geprägten Wahlkampf legt, obwohl es genug Themen und Probleme zu behandeln gäbe.
Vor 200 Jahren wurde Brasilien unabhängig von der Kolonialmacht Portugal - das wurde heute groß gefeiert. Präsident Bolsonaro versuchte die Feierlichkeiten für den Wahlkampf zu nutzen.
Corona, Regenwald, Soziales: Bolsonaro hat eine ernüchternde Bilanz
Bolsonaros Bilanz nach bald vier Jahren im Amt ist problematisch für ihn. Sein wissenschaftsfeindlicher Umgang mit der Corona-Pandemie hat zu den mehr als 680.000 Toten beigetragen.
Der Raubbau am Amazonas-Regenwald hat extrem zugenommen, Brasilien auch außenpolitisch ins Abseits gestellt. Die große Ungleichheit ist weiter gestiegen. Der Hunger ist zurück, etwa ein Drittel der Brasilianer hat nicht jeden Tag genug Essen auf dem Teller.
Die Wirtschaft wächst zwar inzwischen, und die Arbeitslosigkeit sinkt. Gleichzeitig aber profitieren davon nur wenige Menschen.
Bolsonaros Schwäche ist Lulas Stärke
Und so wünschen sich viele Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zurück. In seine Amtszeit zwischen 2003 und 2011 fielen wirtschaftlicher Aufschwung und umfassende Sozialprogramme, aber auch ein beispielloser Korruptionsskandal. Viele Brasilianer misstrauen ihm. Auch er polarisiert also – ganz ohne Worte.
Bolsonaro nutzt dies, um seinen Gegner zu dämonisieren. Am Nationalfeiertag nannte Bolsonaro die Wahl einen "Kampf Gut gegen Böse".
Heute wird in Brasilien gewählt. Der noch amtierende Präsident Bolsonaro tritt gegen den linken Ex-Präsidenten Lula an. ZDF-Korrespondent Christoph Röckerath berichtet aus Rio.
Die Brasilianer erwarten, dass Probleme gelöst werden
Aus politischen Gegnern sind Feinde geworden. "Hör auf zu lügen", warfen sich beide Spitzenkandidaten in der letzten TV-Debatte gegenseitig an den Kopf. Bolsonaro ging sogar soweit alte, längst widerlegte, Verschwörungstheorien über Lula anzubringen.
Doch das negative Echo auf die Debatte zeigt: die Mehrheit der Brasilianer ist des Streitens müde und erwartet von ihren Politikern Lösungen.
Wenn am Sonntag gewählt wird, könnte Lula, den jüngsten Umfragen zufolge bereits im ersten Wahlgang die 50 Prozent überschreiten. Wenn nicht, wird vier Wochen drauf erneut gewählt. Spätestens dann könnte sich die Frage stellen, ob Brasilien nach vier Jahren Bolsonaro eine friedliche Übergabe der Macht gelingt.
Christoph Röckerath leitet das ZDF-Studio in Rio de Janeiro.