Der Tübinger Boris Palmer möchte zum dritten Mal Oberbürgermeister werden. Der politische Gegenwind ist groß. Deshalb droht Palmer mit dem Rückzug - im Falle einer Niederlage.
Er spaltet die Republik - und seine beschauliche Heimat Tübingen. Der grüne Boris Palmer ist wohl der bekannteste Kommunalpolitiker Deutschlands. Kaum einer polarisiert wie er.
Nach sechzehn Jahren Amtszeit stellt Palmer sich am Sonntag zur Wiederwahl als Oberbürgermeister und zweierlei ist diesmal anders: Er tritt nicht für die Grünen an, mit denen er sich überworfen hat, sondern als unabhängiger Kandidat. Und: Sein Sieg ist alles andere als sicher.
Boris Palmer tritt nicht für die Grünen an
Fünf Bewerber treten gegen den 50-Jährigen an. Zwei Frauen könnten ihm besonders gefährlich werden.
- Die grüne Kandidatin, Ortsvorsteherin Ulrike Baumgärtner. Sie ist das grüne Gegenteil von Palmer: quirlig, politisch korrekt, beliebt bei der Parteijugend. Ihr Motto: "weniger Rambo, mehr Wir".
- Sofie Geisel tritt für die SPD an. Eine politische Schwäbin, die aus Berlin heimkehren will und Palmer aus Studentenzeiten kennt. Sein Alphatier-Gehabe nerve - sagt sie. Das eint sie mit vielen Grünen, die den kantig-kontroversen Palmer, der sich gern über "Scheinkonsenssoße" beschwert, am liebsten aus der Partei geschmissen hätten.
- Außerdem treten Markus Vogt für Die Partei und Sandro Vidotto und Frank Walz als unabhängige Kandidaten an.
Palmer sorgte mit rassistischen Sprüchen für Ärger
Ein grüner Oberbürgermeister, der sich an Fragen von Herkunft, Hautfarbe und Höflichkeit abarbeitet, das passt nicht ins Partei-Profil. Und so dachte die damalige Grünen-Co-Vorsitzende Annalena Baerbock letztes Jahr öffentlich über seinen Parteiausschluss nach. Vor sechs Monaten dann einigte Palmer sich mit der Landespartei auf einen Kompromiss: Er lässt bis 2023 seine Mitgliedschaft bei den Grünen ruhen.
Palmer liebt die Provokation. 2019 regt er sich über Werbeplakate der deutschen Bahn auf, wegen der vielfältigen Testimonials, unter ihnen der schwarze Fernsehkoch Nelson Müller. Palmer fragt auf Facebook: "Welche Gesellschaft soll das abbilden?"
In einem anderen Post über den Fußballer Dennis Aogo verwendet er das rassistische N-Wort, das Palmer später dann ironisch gemeint haben will und nennt Aogo einen "Quotenschwarzen".
Viele bewundern Palmer für seine Arbeit als Oberbürgermeister
Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie erklärt Tübingens Oberbürgermeister, dass man in Altenheimen Menschen rette, "die in einem halben Jahr tot wären". Pietätlos und rassistisch finden das die einen, volksnah und mutig, gegen den Strich und die Identitätspolitik, die anderen.
Hört man sich in Tübingen um, dann ist da viel Ärger, über Palmers aufbrausend-arrogante Art. Aber - oft hinter vorgehaltener Hand - auch viel Bewunderung. Seine Bilanz in Tübingen, soviel steht fest, kann sich sehen lassen. Solaranlagen-Pflicht, Verpackungssteuer, C02-Reduktion, 7.000 neue Wohnungen. Palmer hat die Unistadt zu einer klimafreundlichen Vorzeige-Wohlfühloase umgekrempelt - unkonventionell und innovativ.
Seit dem 1. Januar gibt es in Tübingen eine Verpackungssteuer. Mit der Abgabe sagt Tübingen dem To-Go-Müll den Kampf an und will für mehr Nachhaltigkeit sorgen. Wie sieht die Umsetzung aus?
In frühen Corona-Zeiten blickte ganz Deutschland auf Tübingens Teststrategie, der OB hüpfte von Talkshow zu Talkshow. Und so ist die große Frage, ob Promibonus und Erfolgsbilanz schwerer wiegen - oder der Ärger über Palmers permanente penetrante Provokation.
Wenn er nicht Stimmenkönig wird, will Palmer lieber ganz verzichten. So droht der 50-Jährige schon mal vorsorglich mit seinem Rückzug. Und sagt - typisch Palmer - angesichts seiner Pensionsansprüche: "Ich glaube es wäre schwäbischer und klüger, mich noch mal acht Jahre für mein Geld schaffen zu lassen, als mich abzuwählen."
Eva Schiller leitet das ZDF-Studio in Stuttgart.