Der Ukraine-Krieg verschärft die Lage auf dem Balkan. Bosnien und Herzegowina will näher an die EU rücken, Russland will das verhindern - und den westlichen Einfluss untergraben.
Heute gibt es Hühnersuppe, schön fett, mit grossen Fleischstücken, dazu frisches Brot. "Hier, nimm doch noch einen Laib mit", ruft Miroslav und schiebt es der älteren Dame in ihre Tüte. Es ist wieder viel Betrieb in seiner Suppenküche. Und jeden Tag werden es mehr.
Cica Bosnic bestätigt das: "Wenn es Miroslav nicht gäbe, wäre ich tot", sagt sie, denn sie bekommt umgerechnet 110 Euro Rente im Monat.
Bosnien und Herzegowina: Frieden unter Aufsicht
Bosnien und Herzegowina, kurz "BiH", ist eines der ärmsten, mit Sicherheit aber das zerrissenste Land auf dem Balkan. Vor 30 Jahren begann hier ein blutiger Krieg, in dem drei Volksgruppen des Landes - Serben, Bosniaken, Kroaten - gegeneinander kämpften. Erst 1995 beendete das Abkommen von Dayton Folter, Vertreibungen, Massenvergewaltigung und Völkermord.
Doch Dayton verdammte drei verfeindete Volksgruppen dazu, immer gemeinsam zu regieren - unter der Aufsicht eines Hohen Repräsentanten der Vereinten Nationen. Dayton etablierte in BiH keinen echten Frieden, sondern eine Art Kalten Krieg im eigenen Land.
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Serbenführer Dodik heizt die Situation mit Unabhängigkeitsbestrebungen an
Das hat nie gut funktioniert. Zuletzt zündelte zudem noch der bosnische Serbenführer Dodik: Er treibt seinen Landesteil in die Unabhängigkeit, mit Plänen für eine eigene Steuerbehörde und Armee. "Den Menschen hier schlottern die Knie", beschreibt der jetzige Hohe Repräsentant der UN, der deutsche Ex-Minister Christian Schmidt, die Lage.
Doch im serbisch dominierten Landesteil, in Banja Luka, halten manche Dodiks Vorgehen nur für eine Art Ablenkungsmanöver: "Ich glaube nicht an die Unabhängigkeit unseres Landesteils", sagt die junge Serbin Daria. Und weiter:
Und auch Cica an der Suppenküche meint: "Es geht ihnen doch nur darum, sich selbst die Taschen vollzustopfen. Für uns tun sie nichts." Korruption, so meinen hier viele, sei eigentlich das viel größere Problem.
Dodik ignoriert Weisungen der UN - und bekommt Rückenwind aus Russland
Den Serbenführer Dodik haben wir mehrfach um ein Interview zu seinen Unabhängigkeitsbestrebungen gebeten - keine Reaktion. Der hohe Repräsentant Schmidt jedenfalls schritt ein und kassierte ein Gesetz, das Dodik zu diesem Zweck einbrachte: Es hätte den Staat BiH im serbischen Landesteil enteignet und Forste, Flüsse, Flächen in Dodiks Verfügungsmacht gebracht.
Quelle: Imago
Doch Dodik ignoriert die Entscheidung - und Russland stützt ihn darin: der "deutsche Bürger" Schmidt repräsentiere nicht die UN, so die russische Botschaft in Sarajevo. Dodik zündelt und Russland reicht ihm das Streichholz.
Der Kalte Krieg in BiH war immer auch einer der Weltgemeinschaft: Die slawisch-orthodoxen Serben in BiH betrachten Russland als Schutzmacht, unverstanden fühlen sie sich dagegen vom anderen Landesteil mit Kroaten und Bosniaken und dem Westen. In Russlands Interesse war es immer schon, den Konflikt in BiH am schwelen und die EU fernzuhalten. Das sichert den Russen politischen Einfluss auf dem Balkan - und Geschäfte, die es auch ermöglichen, Sanktionen zu umgehen und Geld zu waschen.
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Russland will westlichen Einfluss auf dem Balkan untergraben
Der Ukraine-Krieg verschärft nun die Lage: Die EU verstärkt ihre Präsenz und Besuchsfrequenz, zuletzt war die deutsche Verteidigungsministerin Lambrecht hier. BiH will gern näher an die EU rücken. Russland will das verhindern, stärkt deshalb den serbischen Landesteil - denn alles was die EU besorgt und beschäftigt, nützt Russland. Wie Schmidt es beschreibt:
Nur einen Silberstreif kann Schmidt da erkennen: Das Nachbarland Serbien, so hofft er, könne mildernd auf die Brüder in BiH Einfluss nehmen. Für die Menschen in der Schlange an der Suppenküche ist das alles weit weg.
"Die normalen Leute kommen hier gut miteinander klar", sagen viele, "egal ob serbisch, bosniakisch oder kroatisch. Es sind nur die Politiker, die die Probleme machen." Wie tödlich das sein kann, wissen sie hier noch gut: Fast jede Woche gibt es Gedenken an blutige Ereignisse vor 30 Jahren. Der Krieg in der Ukraine, die eigenen Wahlen im Herbst - es werden schwierige Monate für das kleine BIH.
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