Keine Bücher und Musik aus Russland und Belarus: Kiew will per Gesetz den Import verbieten - aus Schutz vor "russischer Propaganda". Doch nicht alle Ukrainer sind davon begeistert.
Neue Gesetze sollen die "Entrussifizierung" der Ukraine vorantreiben. Dazu gehört das Verbot russischer Bücher und Musik. In den Gassen von Kiews großem Buchmarkt Petriwka streiten Händler und Leser darüber, ob es sich dabei um sinnvollen Schutz vor russischer Propaganda handelt oder eine riskante Verwechslung von "Kultur und Faschismus".
"Warum soll das Russische nur Russland gehören?"
Buchhändler Olexander Drobin zweifelt an dem neuen Gesetz:
Etwa die Hälfte der ukrainischen Bevölkerung sei schließlich russischsprachig, begründet Drobin sein Urteil. "Die russische Kultur interessiert uns auch, es gibt viele gute Dinge in Russlands Geschichte", erläutert er.
Ein paar Läden weiter bezeichnet Buchhändler Anatoli Gunko das Gesetz als "notwendig. Doch auch er findet es "ein bisschen streng zu sagen, dass man nur noch Ukrainisch und kein Russisch mehr sprechen soll". Er redet sich in Rage: "Warum soll das Russische nur Russland gehören? 300 Millionen Menschen weltweit sprechen Russisch."
Bücher von Puschkin und Tolstoi dürfen bleiben
Das ukrainische Parlament hat Mitte Juni mehrere Gesetzestexte verabschiedet, um die ukrainische "Kultur vor der russischen Propaganda zu schützen". Es fehlt nur noch die Unterschrift von Präsident Wolodymyr Selenskkyj.
[So streut Russland Zweifel: Taktiken der Propaganda im Ukraine-Krieg]
Die Gesetze verbieten namentlich den Import aller Bücher, die in Russland und Belarus herausgebracht wurden, unabhängig vom Autor. Bei Zuwiderhandlung sind Strafen vorgesehen.
Mit seiner "Metro"-Reihe ist der russische Autor Dmitry Glukhovsky weltbekannt geworden. Direkt nach Beginn des russischen Einmarschs in der Ukraine hat er sein Land verlassen.
Die Anwendung der Gesetze könnte jedoch kompliziert werden: So bleiben Bücher in russischer Sprache, die in der Ukraine oder anderen Ländern veröffentlicht wurden, erlaubt, so lange Russisch die Muttersprache des Autors ist und dieser nicht als der Ukraine gegenüber feindselig eingestellt gilt. Große Klassiker der russischen Literatur, wie Puschkin und Tolstoi, sind ohnehin von dem Bann ausgenommen.
Die Gesetze verbieten auch das Abspielen russischer Musik im Fernsehen, im Radio sowie an öffentlichen Plätzen, wenn sie nach 1991 verfasst wurde.
- Was bringt ein Boykott russischer Kultur?
Kunst und Kultur distanzieren sich von Putin. "Wir müssen ein Zeichen setzen", heißt es vom Deutschen Kulturrat. Aber bringt das was?
"Wir haben genug ausgezeichnete Autoren"
Vier Monate nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine sollen die neuen Gesetze das Arsenal rechtlicher Handhabe erweitern, mit denen die "Entrussifizierung" in der ehemaligen Sowjetrepublik in den vergangenen Jahren vorangetrieben wurde.
Doch Buchhändler Drobin warnt davor, "den russischen Faschismus mit der russischen Kultur zu verwechseln". Niemand wisse das Gesetz anzuwenden, sagt er und fragt:
Eine andere Buchhändlerin verteidigt das Gesetz: "Als der Krieg begonnen hat, haben die Leute angefangen Bücher auf Ukrainisch zu lesen. Wir haben genug ausgezeichnete Autoren." Allerdings räumt sie ein, dass es für die Verkäufer von Gegenwartsliteratur schwieriger sei als für sie als Antiquarin.
"Das ist Kindergartenniveau"
Auch die Kunden auf dem Markt sind gespalten, was den Bücherbann angeht. Natascha Sikorska sagt: "Es gibt schwerwiegendere Probleme, das ist einfach Kindergartenniveau." Sie sei nicht einverstanden mit dem Verbot, "weil die russische Literatur, das ist Geschichte, das ist nicht russische Propaganda, das ist einfach Bildung".
Ihre Freundin widerspricht:
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.