Gerhard Trabert will Bundespräsident werden. Die Linke hat ihn gegen Frank-Walter Steinmeier nominiert. Groß ist seine Chance nicht, aber die will er nutzen. Sein Thema: Armut.
Das ist typisch für Gerhard Trabert. Man erreicht ihn im Auto, auf dem Weg zu einer Impfaktion für Wohnungslose und Nichtversicherte in Mainz. Der 65-jährige Allgemeinmediziner, Professor für Sozialmedizin, Bundesverdienstkreuzträger, Kämpfer für Wohnungslose und Flüchtende, soll Bundespräsident werden. Die Linke hat ihn als Kandidaten nominiert, gegen Frank-Walter Steinmeier am 13. Februar anzutreten.
Traberts Chancen sind nicht besonders groß: Die Ampel-Parteien und die Union haben erklärt, Steinmeier zu wählen. Die AfD will Ende Januar auch noch eine Kandidatin oder einen Kandidaten benennen.
ZDFheute: Warum kandidieren Sie, wenn die Chance, gewählt zu werden, nicht besonders groß ist?
Gerhard Trabert: In der Demokratie ist es immer gut, wenn man wählen kann. Mein Hauptanliegen ist aber, das Thema soziale Ungerechtigkeit noch mehr in die öffentliche Diskussion einzubringen. Das kommt einfach immer noch zu kurz. Gerade in der Corona-Pandemie wird viel zu wenig an die Menschen am Rande unserer Gesellschaft gedacht.
-
ZDFheute: Muss man als Bundespräsident kandidieren, damit das Thema Armut auf die öffentliche Agenda kommt?
Trabert: Ich bin enttäuscht, wie wenig darüber gesprochen wird. Auch von der neuen Bundesregierung, selbst wenn sie Akzente setzt mit der Kindergrundsicherung, der Erhöhung des Mindestlohns und anderes. Ich habe immer das Gefühl, es wird mehr Reichtum stabilisiert als Armut bekämpft.
Ein Hartz-IV-Satz um drei Euro zu erhöhen, ist ein Skandal. Bei der derzeitigen Inflationsrate ist das eine Kaufkraftminderung. Dass das von den Parteien nicht stärker gesehen und bekämpft wird, erschließt sich mir nicht.
ZDFheute: Wofür würden Sie sich als Bundespräsident einsetzen?
Trabert: Ein Bundespräsident hat eine soziale Verantwortung und Möglichkeiten, Themen zu platzieren, die bei den Entscheidungsgremien zu wenig gesehen und berücksichtigt werden.
ZDFheute: Welche?
Trabert: Das ist das Thema Armut, aber auch die Beziehung von Armut und Krankheit. Krankheit macht arm, und Armut macht krank. Es hört in diesen Tagen jeder auf das Robert-Koch-Institut. Das veröffentlich seit Jahren auch Zahlen, dass arme Frauen im Vergleich zu dem reichsten Viertel der Gesellschaft 4,4 Jahre und arme Männer 8,6 Jahre früher sterben.
Auch in der Pflege muss sich bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen etwas ändern. Bei Care-Arbeit von Frauen genauso wie bei Geflüchteten, da muss Deutschland eine Vorreiterrolle übernehmen. Das Sterben im Mittelmeer darf so nicht sein.
- Armut in Deutschland
Was ist Armut und wer ist betroffen? Wann wird jemand als arm bezeichnet? Von Kinderarmut bis Altersarmut: Armut in Deutschland wird auf vielen Ebenen diskut...
ZDFheute: Sie sind gerade zu Wohnungslosen unterwegs. Erwarten Sie von einem Bundespräsidenten noch etwas?
Trabert: Als ich als Parteiloser für den Bundestag kandidiert habe, haben viele wohnungslose Menschen mich unterstützt und mir gesagt, dass sie zum ersten Mal wählen waren. Manche haben dann hinter meinem Namen gleich drei Kreuze gemacht. Gut, das war ein bisschen viel. Aber es war schön zu spüren: Wenn sie wahrgenommen werden, beteiligen sie sich am demokratischen Entscheidungsprozess. Nur so kann man etwas verändern.
ZDFheute: Nun geht es um die Bundesversammlung: Sie und Frank-Walter Steinmeier sind fast gleich alt, sind beide westdeutsch, beide männlich - was unterschiedet Sie von ihm?
Trabert: Ich mache keinen Wahlkampf gegen Herrn Steinmeier. Ich schätze das, was er geleistet hat. Aber ich stehe für andere Themen. Ich würde den Fokus auf soziale Ungerechtigkeit, Armut, Gender-Ungerechtigkeit, geflüchtete Menschen setzen. Wir haben eine andere Sozialisation.
Ich komme wie Steinmeier zwar auch aus kleinen Verhältnissen, mein Vater war erst Werkzeugmacher, dann Erzieher. Aber ich würde konsequenter von den Politikerinnen und Politikern einfordern, dass sie die Lebensrealität von armen Menschen mehr wahrnehmen und entsprechend handeln, um ihre Situation zu verbessern.
ZDFheute: Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass wir mit Ihrer Kandidatur bei diesen Themen wirklich weiterkommen? Sie sagen das alles schon so lange, haben viele Preise für Ihr Engagement bekommen. Warum tut sich da nichts?
Trabert: Ich habe nur Vermutungen. Viele politisch Verantwortliche wissen nicht wirklich, was Armut, soziale Benachteiligung bedeutet. Ich habe mit den Menschen Kontakt, ich sehe ihr Leid und höre, was sie sagen. Ich war auf dem Mittelmeer und habe gesehen, was es bedeutet, Menschen in Not zu retten, während andere ertrinken.
Das ist alles so weit weg von den politisch Verantwortlichen, die einfach nicht sensibel genug sind. Oft fehlt auch Wissen.
- Bundespräsident
Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung alle fünf Jahre gewählt. Als oberster Vertreter Deutschlands hat er vor allem repräsentative Aufgaben. New...
ZDFheute: Morgen werden Sie offiziell nominiert...
Trabert: Und am Mittwoch halte ich online Vorlesungen und am Donnerstag auch. Diese Kandidatur ist ambivalent. Sie ist eine Chance, die Menschen, für die ich mich engagiere, in den Fokus zu rücken. Aber es ist auch eine unheimliche Verantwortung, die Themen so zu platzieren, dass sich konkret etwas für die Menschen verbessert. Das ist meine große Hoffnung.
Für die Preise, die ich bislang bekommen habe, kann sich kein Wohnungsloser etwas kaufen.
Das Interview führte Kristina Hofmann.