Oft wird beklagt: Bundestagsdebatten sind langweilig. Heute war das anders. Unions-Fraktionschef Merz provoziert, Kanzler Scholz reagiert. Ergebnis: ein munterer Schlagabtausch.
Wenn es Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mal so richtig reicht, dann muss man es sich in etwa so vorstellen wie heute im Bundestag. Gute 20 Minuten hat er sich vorher die Rede von Unions-Fraktionschef Friedrich Merz angehört, mit recht sparsamer Miene. Dann legt er sein Manuskript für die Generaldebatte im Bundestag zur Seite.
"Peinlich" sei Merz, sagt Scholz. Er sei durch die Themen "durchgetänzelt", "naseweis" die Vorhaltungen, die Bundesregierung tue zu wenig zur Verteidigung der Ukraine. Man habe schwere Waffen geliefert, er habe viel "Krams" dazu gehört:
Deutschland liefere umfangreich Waffen an die Ukraine, auch schwere Waffen, wie Panzerhaubitzen und Gepard-Panzer, sagt Bundeskanzler Scholz im Bundestag.
Merz: Sie reden, aber Sie sagen nichts
Die Rede von Merz hatte offensichtlich gesessen. Dabei fing er staatstragend an: Der Vereinbarung zu dem sogenannten Sondervermögen für die Bundeswehr habe man gerne zugestimmt. Denn: Die Ampel-Koalition sei "unseren Wünschen voll umfänglich nachgekommen". "Besser", so Merz, "hätten wir es gemeinsam nicht zum Abschluss bringen können." Viel mehr süß-saure Komplimente gab es nicht. Im Gegenteil.
Zum Thema Ukraine: Scholz, so Merz, rede zwar jetzt mehr, "aber Sie sagen nichts." Der Ukraine würden entgegen dem gemeinsamen Bundestagsbeschluss vor vier Wochen keine schweren Waffen geliefert. Die Behauptung aus dem Bundesverteidigungsministerium, die Nato wolle keine modernen Panzer schicken, sei offenbar falsch. Es gebe über Deutschland nur "Verstimmungen und Enttäuschungen".
Merz forderte von Scholz, die Kriegsziele zu benennen: "Warum sagen Sie nicht, die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen?" Zumindest, dass Russland hinter den Stand vom 24. Februar, dem Beginn des Angriff auf die Ukraine, zurück müsse. Alles, so Merz, was Scholz seit seiner "Zeitenwende"-Rede angekündigt habe "verdampft und verdunstet im Ungefähren". Sie stehe "beziehungslos im Raum".
Langer Applaus für Merz, "Peinlich"-Rufe aus Ampel
Ein ähnlich schlechtes Zeugnis stellte Merz dem Kanzler beim Thema Europa aus: Es gebe "außer Rhetorik" keinen echten Vorschlag, die EU besser aufzustellen. Der Haushalt, das eigentliche Thema der Debatte, stecke voller Risiken. Wenn die Bundesregierung nicht den Solidaritätszuschlag abgeschafft hätte, so Merz, könnte man jetzt die 110 Milliarden neue Schulden für die Bundeswehr direkt zurückbezahlen.
Überhaupt: Der Koalitionsvertrag der Ampel gehöre "ins Archiv":
Für das geplante Klimageld, so Merz lachend, komme vielleicht "noch ein bisschen Applaus" von der Linkspartei. Und wenn Scholz mal nicht die vom Kanzleramt formulierte Rede ablesen wolle, dann solle er im Bundestag doch drei Fragen beantworten: Welche Waffen werden geliefert, welche Reformvorschläge hat er für die EU, welche für die Reform der Rentenversicherung?
Mit "peinlich" und "Unverschämtheit" kommentierten das Abgeordnete der Regierungsfraktionen, CDU/CSU applaudierten lange.
Unionsfraktionschef Merz lobt zwar die Einigung beim Sondervermögen, kritisiert aber gleichzeitig Scholz` Zaudern bei den Waffenlieferungen und die fehlende Zeitenwende.
Scholz: Union verantwortlich für Bundeswehr-Sparkurs
Das Manuskript legte Scholz dann tatsächlich zur Seite. Und beantwortete auch fast alle Fragen. Allerdings im Angriffsmodus Richtung des "verehrten Herrn Merz":
EU? Er habe zusammen mit Staatspräsident Emmanuel Macron mit Staatspräsident Wladimir Putin telefoniert. Den Soli erhöhen zur Finanzierung des Sondervermögens? Also Steuererhöhung? "Was für ein merkwürdiger Einfall."
Wenigstens ein Wort, so Scholz, hätte Merz darüber verlieren können, dass der schlechte Zustand der Bundeswehr auch ein Ergebnis von 16 Jahren Regierung CDU/CSU sei: "Die schlechte Zeit für die Bundeswehr hat begonnen, als ein presseaffiner, viel kommunizierender, selten sich in seinem Amt aufhaltender Minister Guttenberg entschieden hat, alles Mögliche anders zu machen."
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Russlands Angriff auf die Ukraine dauert an. Es gibt Sanktionen gegen Moskau, Waffen für Kiew. Aktuelle News und Hintergründe zum Krieg im Blog.
Vorschlag für "Pakt gegen Preisdruck"
Scholz rechtfertigte seine Politik gegenüber der Ukraine. Putin dürfe den Krieg nicht gewinnen. Es sei "unerheblich, unangemessen und völlig fehl am Platze", der Ukraine ein Kriegsziel vorschreiben zu wollen.
Bei der Unterstützung der Ukraine müsse sich Deutschland "nicht verstecken", so Scholz, man liefere Waffen "kontinuierlich und von Anfang an". Viele Vorhaltungen dazu hätten mit "Fakten nichts zu tun". Scholz legte eine Liste vor: wie viel Munition, wie viele gepanzerte Fahrzeuge, Maschinengewehre, Geparde, Haubitze. Wie könne man sagen, dass seien keine "schwere Waffen"? Eins ging dabei fast unter: Jetzt kommt auch noch das Flugabwehrsystem Iris-T und ein Ortungsradar hinzu, wodurch Großstädte vor Luftangriffen geschützt werden können.
Was im Merz-Scholz-Pingpong auch fast unterging: Scholz bot Arbeitgebern und Gewerkschaften einen gemeinsamen Pakt an: "Wir wollen eine konzertierte Aktion gegen den Preisdruck." Alle müssten etwas dazu beitragen, dass die Inflation nicht noch weiter steige und die Menschen die hohen Preise auch bezahlen könnten. Das Klimageld oder der Bürgergeld, so Scholz, werde nicht "hinter dem Krieg verschwinden".
FDP-Fraktionschef Christian Dürr verteidigt die Mehrausgaben im Rahmen des Ukraine-Krieges und stellt gleichzeitig klar: "Wir weichen nicht von der Schuldenbremse ab."
FDP findet Soli-Zuschlag "absurd"
Und die anderen? Die FDP amüsierte sich, dass ausgerechnet die Union die Steuern erhöhen wolle: "Wie absurd ist das denn?", fragte Fraktionschef Christian Dürr. Das hätte er sich "nie träumen lassen". Seine Kollegin von den Grünen, Britta Haßelmann, hätte sich gewünscht, dass die Union mehr Verantwortung für die vergangen 16 Jahre übernommen hätte. Die Union habe einen "Riesenberg nicht erledigter Aufgaben" hinterlassen. Sie riet Merz zu "ein bisschen weniger Männereitelkeit, ein bisschen mehr Selbstreflexion":
Die Union haben "einen Riesen-Berg nicht erledigter Aufgaben hinterlassen", sagt Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. Da sei "ein bisschen mehr Selbstreflexion" angemessen.
Die AfD beschwerte sich, dass sie bei dem Deal zum Sondervermögen zwischen Regierung und Opposition nicht dabei ist. Obwohl ja nicht nur CDU und CSU die Opposition stellen. Dass die Union sich nun als "Retter und Beschützer der Bundeswehr aufspielt, ist mehr als scheinheilig", so AfD-Fraktionschefin Alice Weidel.
Die Energiekrise sei die Folge der Energiewende, sagt Weidel. Energiesanktionen gegen Russland seien "kontraproduktiv", denn sie "fügen unserem Land mehr Schaden zu als Russland".
Die Linke erinnerte die SPD und die Grünen an ihre Wurzeln: Was sei mit dem Erbe des Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt, das Erbe der grünen Friedensbewegung, fragte Fraktionschefin Amira Mohamed. "Machen Sie da nicht mit!"
Die Fraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali, nennt das Sondervermögen für die Bundeswehr eine "Unverschämtheit" und warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft.
Und was sagt Merkel?
Man hätte gerne gewusst, was Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel zu all dem sagt. Dass bei ihren 16 Jahren Regierungszeit plötzlich niemand mehr dabei gewesen sein will. Sie hat tatsächlich heute wieder einen Auftritt: Bei der Verabschiedung des DGB-Vorsitzenden Rainer Hoffmann hält sie eine Rede. Öffentlichkeit? Ausgeschlossen.
Die ganze Debatte können Sie hier nachschauen:
Sehen Sie hier die komplette Sendung "Heute im Parlament" zur Generaldebatte über Haushalt und Krieg.