Noch nie war ein Ergebnis der Union so schlecht, trotzdem will Armin Laschet eine Jamaika-Koalition bilden. Auch die CSU will das. Die Frage ist, wie lange der Burgfrieden hält.
"Scheiße", entfährt es jemandem, viele halten sich an einem Bier fest, mehr Trostgetränk als Jubelbier. Zu einem müden Applaus kommt es dann doch noch. "Jamaika" ruft einer.
Laschet nennt es "Zukunftsregierung"
Jamaika, das ist die Hoffnung, an die sich die Union an diesem Bundestagswahl-Abend klammert. Eine Koalition mit den Grünen und FDP wäre nach den Zahlen möglich. Knapp eine Stunde nach den ersten Prognosen kommt Armin Laschet, das Präsidium inklusive Angela Merkel baut sich auf der Bühne hinter ihm auf. Alle mit Maske. Was in den Köpfen vorgeht, sieht man nicht.
Der Applaus ist freundlicher und lauter, als Laschet seinen Regierungsauftrag formuliert. Es ist die Formulierung, auf die man sich zwischen CDU und CSU geeinigt hat: eine "Zukunftskoalition" will er nun bilden, eine Koalition für "mehr Nachhaltigkeit bei Klimaschutz und Finanzen". Grüne und FDP sagt er nicht. Dafür aber, dass es den "klaren Auftrag" gebe, eine Regierung zu bilden. "Gemeinsam mit Markus Söder" werde man nun eine Koalition bilden, "die das Land zusammenhält".
Historisch schlechtes Ergebnis für die Union
Die erste Aufgabe Laschets wird vermutlich eher sein, seine Union zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass er Parteichef bleibt. Denn die Gesichter hinter den Masken können eins nicht verstecken: Die Union hat das historisch schlechteste Ergebnis seit 1949 eingefahren. Es war schon mit 32,9 Prozent vor vier Jahren so schlecht wie selten. Jetzt liegt es noch darunter, und zwar kräftig. Laschet sagt das auch:
Es sei ein "Verlust an Stimmen, der nicht schön ist".
An diesem Abend reiht sich die CSU noch in die Marschrichtung ein. Ein Linksbündnis, also eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken, wurde verhindert, noch ist ein Unions-geführtes Kanzleramt möglich. CSU-Chef Söder nennt eine Jamaika-Koalition "Bündnis der Vernunft", man "glaube fest an die Idee".
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Obwohl die CSU bis 18 Uhr ja überhaupt nicht daran glaubte, sondern nur an Platz eins als Bedingung für einen Regierungsauftrag. Jetzt stärkt Söder in der Berliner Runde Laschet demonstrativ den Rücken. Er habe großen Respekt vor Laschet, dem oft im Wahlkampf Unrecht getan worden sei. Söder sagt:
Lindner ist Laschets Trumpf
Wie lange der Frieden hält, liegt am amtlichen Endergebnis irgendwann in der Nacht. Sollte ein Abstand von ein bis zwei Prozentpunkten zwischen Union und SPD liegen, wird der jeweils Unterlegene nur schwer einen Regierungsanspruch ableiten können. Die Union setzt darauf, dass eine Ampel an der FDP scheitern könnte. Die Preistreiberei hat längst begonnen. "Die SPD von Kevin Kühnert und Saskia Esken ist nicht die von Helmut Schmidt", sagt FDP-Chef Christian Lindner.
Auch gegenüber der Union wird die FDP ihren Preis kennen. Für Laschet ist Lindner aber auch ein Trumpf im Koalitionspoker-Spiel, was schon längst begonnen hat. Beide können miteinander und machen daraus keinen Hehl. Beide Parteien regieren recht stabil in Nordrhein-Westfalen trotz einer Ein-Stimmen-Mehrheit.
Es könnte allerdings, liegt der Abstand am Ende nicht deutlich vor der SPD, sein einziger Trumpf bleiben. Zu viele Fehler sind im Wahlkampf passiert, dass es nicht auch Interessierte gibt, die diese sehr genau aufarbeiten möchten.
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Ein Wahlkampf voller Fehler
Die Risse, die im internen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur aufgebrochen sind, sind keineswegs gekittet. Laschet wurde nur Kandidat, weil ihn die CDU-Granden Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier Markus Söder zum Rückzug zwangen. Wer sich für Söder ausgesprochen hatte, ist nicht vergessen.
Das Sticheln aus Bayern blieb, das Reden vom "Wahlkampf im Schlafwagen", die Demütigungen, wenn Söder den körperlich kleineren Laschet zum Corona-Ellbogen-Gruß zwang und keinen Zentimeter den Arm nach unten beugte. Dazu die Fehler Laschets: Sein Lachen bei den Flutopfern, als der Bundespräsident sprach. Sein Zukunftsteam, das für viele zu spät kam und deren Mitglieder kaum jemand kannte. Das merkwürdige lange Schweigen der Kanzlerin, die, so schien es, überredet werden musste, für ihn überhaupt Wahlkampf zu machen.
Der falsch gefaltete Wahlzettel, den Laschet an diesem Morgen in die Wahlurne steckte, passte irgendwie zu diesem Pannen-Wahlkampf.
Wer wird Angela Merkel folgen? Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz trauen sich das Kanzleramt zu. Aber wie wollen sie den Machtkampf für sich entscheiden?
Wichtige Landtagswahlen stehen an
Laschet sagt, man werde den Wahlkampf in der Union besprechen. Der Zeitpunkt sei aber nicht jetzt. Am Montag kommen Parteivorstand und -präsidium zusammen. Unwahrscheinlich, dass die CDU sich selbst aus der Suche nach der Regierungsbildung nimmt, indem sie ihren Vorsitzenden stürzt. Am Dienstag muss ein Fraktionschef gewählt werden. Auch bei dieser Personalfrage könnte ein Machtgerangel vorerst noch ausbleiben.
Denn für die Union geht es um mehr als um Laschet und Jamaika. Es geht darum, ob sie Machtfaktor bleibt und ob sie die Nach-Merkel-Ära übersteht. 2022 wird im Saarland, in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gewählt. In zwei Jahren sind Bayern und Hessen an der Reihe. Also in fünf Bundesländern, die die Union führt. Ob sie Volkspartei bleibt, entscheidet sich dort. Und auch schon in diesen Tagen.
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