Deutschland will erheblich mehr Geld in die Verteidigung stecken. Was ist geplant, woher kommt das Geld und wohin soll es investiert werden? Ein Überblick in Grafiken.
Mehr Geld für Panzer, Flugzeuge und Schiffe - 100 Milliarden Euro zusätzlich soll die Bundeswehr in den kommenden Jahren bekommen. ZDFheute live ordnet ein.
Lange wurde Deutschland für seine vergleichsweise geringen Verteidigungsinvestitionen von seinen Nato-Partnern - allen voran den USA - kritisiert. Zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts sollen die Mitgliedstaaten in Verteidigung investieren, war die Forderung, auch wenn das nicht als bindende Regel festgeschrieben ist, sondern sich die Staaten bis 2024 auf diesen Wert "zubewegen" sollen.
In Deutschland bewegten sich die Verteidigungsausgaben in den letzten 20 Jahren zwischen 1,1 und 1,4 Prozent des BIP. Eine wirkliche Motivation, daran etwas zu ändern, war nicht erkennbar. Auch der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung enthält kein Bekenntnis zu der Zwei-Prozent-Marke.
Finanziell bedeutet das: Deutschland hat in den letzten Jahren meist umgerechnet rund 40 Milliarden US-Dollar für das Militär ausgegeben. Seit 2018 sind die Ausgaben dann gestiegen, auf zuletzt 52,8 Milliarden.
Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich vieles geändert: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Sonntag eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben an. Dazu soll mit dem Haushalt 2022 ein Sondervermögen im Volumen von 100 Milliarden Euro gebildet werden, aus dem dann auch in den Folgejahren Mehrausgaben bestritten werden sollen. Der Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll unter Einbeziehung des Sondervermögens auf zwei Prozent oder mehr ansteigen. Für das Jahr 2021 wären die zwei Prozent des BIP übrigens 71,2 Milliarden Euro gewesen.
Mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro sei "eine Chance da, die Bundeswehr wieder in den Zustand der Einsatzfähigkeit zu bringen", sagt der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner.
Warum gab es Diskussionen um das Zwei-Prozent-Ziel?
Das Zwei-Prozent-Ziel sorgt seit langem für Streit in der Nato. Die Nato-Verbündeten hatten bei ihrem Gipfeltreffen in Wales 2014 vereinbart, ihre Verteidigungsausgaben binnen eines Jahrzehnts "Richtung" zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern. Die Allianz reagierte damit auch auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland. Als Zielmarke wurde das Jahr 2024 anvisiert. Eine rechtlich verbindliche Festlegung ist das aber nicht, es ist eine politische Absichtserklärung.
Den Hintergrund für die Zwei-Prozent-Vereinbarung bilden traditionell große Ungleichgewichte bei den Verteidigungsausgaben der Mitglieder, insbesondere zwischen den USA und europäischen Nato-Staaten. In den Jahren nach dem Ende des Kalten Kriegs sorgte dies für zunehmenden Ärger in den USA, unter Ex-Präsident Donald Trump gab es daher massivste Kritik gerade am wirtschaftsstarken Deutschland.
Nach Angaben der Nato ist das kombinierte Bruttoinlandsprodukt aller übrigen Nato-Mitglieder größer als das der USA, zugleich entfallen auf die USA mehr als zwei Drittel der gesamten Verteidigungsausgaben aller Bündnispartner. Dabei muss zwar berücksichtigt werden, dass die USA weltweit militärisch aktiv sind sowie nach dem 11. September 2001 stark aufrüsteten. Aber diese Diskrepanz sorgt immer wieder für Diskussionen.
Woher soll nun das zusätzliche Geld kommen?
Finanzminister Christian Lindner will, dass die Bundeswehr mit der geplanten Milliarden-Investition zu einer der schlagkräftigsten Armeen in Europa wird.
Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro soll mit neuen Schulden bereitgestellt werden. Im Grundgesetz solle abgesichert werden, dass der Bundeswehr-Topf nicht durch wechselnde parlamentarische Mehrheiten modifiziert oder anders verwendet werden könne, sagte Lindner. Im normalen Haushalt will der Finanzminister ab 2023 trotzdem die Schuldenbremse wieder einhalten. Umso mehr müsse man dort mit jedem Euro sorgfältig umgehen und genau überlegen, was leistbar sei, betonte er. "Wir werden in den nächsten Jahren alle öffentlichen Ausgaben priorisieren müssen." Das passiere aber nicht wegen der Stärkung der Bundeswehr, sondern sei unabhängig davon ohnehin nötig.
In diesem Jahr will Lindner wegen der Corona-Krise noch einmal 99,7 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen.
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Was soll nun mit dem zusätzlichen Geld passieren?
Eine wichtige Frage ist nun, was mit dem zusätzlichen Geld passieren soll. Schon heute ist die Verteilung der finanziellen Ressourcen in der Nato von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Frankreich etwa fließen 26,5 Prozent der Mittel für Verteidigung in Ausrüstung. In Deutschland nur 16,87 Prozent. Hie fließt dafür der im Nato-Vergleich größte Anteil in "Betrieb, Wartung und sonstige Ausgaben" (37,41 Prozent).
Die Beschaffung neuer Waffensysteme benötigt sehr oft Zeit. Entscheidungen seien noch nicht gefallen, wird derzeit von allen Seiten betont. Einige Infos sind jedoch bereits an die Öffentlichkeit gekommen:
- Aus dem nun angekündigten Sondervermögen für die Bundeswehr sollen einem Bericht zufolge 15 Milliarden Euro in die Nachfolge der Tornado-Flotte der Luftwaffe fließen.
- Für neue schwere Transporthubschrauber werden fünf Milliarden eingeplant, die Weiterentwicklung des Eurofighters soll mit zusätzlichen 2,5 Milliarden geplant werden, wie das Portal "The Pioneer" unter Berufung auf eine interne Liste des Verteidigungsministeriums berichtete.
- Auch in die Digitalisierung der Truppe und ihrer landbasierten Operationen sollen demnach drei Milliarden fließen, beispielsweise in Funkgeräte und Gefechtsstände. Die Nachfolgeregelung einer modernisierten Boden-Luft-Verteidigung des Systems Patriot werde mit 1,1 Milliarden Euro veranschlagt, berichtete "The Pioneer" weiter.
- Wenn die Bundesregierung die Nato-Forderung an die Mitgliedstaaten im Bereich Munition bis 2030 erfüllen will, müsste sie allein dafür weitere rund 20 Milliarden Euro in Beschaffung und Lagerhaltung investieren.
- Und auch die Marine ruft seit langem nach einer Aufstockung ihrer Flotte. Dabei geht es etwa um die Anschaffung von Fregatten des Typs F127. Die Beschaffung weiterer Korvetten ist nicht geplant.
- Bewegung gibt es wohl auch im Bereich der bewaffneten Drohnen: Hier könnte das Verteidigungsministerium rasch aktiv werden. Drohnen sind auf dem Markt zu kaufen. Verteidigungsministerium Christine Lambrecht kündigte am Sonntag bereits entsprechende Beschaffungsvorlagen an.
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