Scherbenhaufen Bundeswehr: Was Pistorius jetzt bewegen muss
Lambrechts Scherbenhaufen:Was Pistorius bei der Bundeswehr bewegen muss
von Ulrich Stoll, Nils Metzger
|
Die Ausrüstung der Bundeswehr ist trotz Sondervermögen schlecht und bald steigen die Nato-Anforderungen deutlich. Verteidigungsminister Pistorius steht vor kaum lösbaren Aufgaben.
Die Bundeswehr steckt in einer Krise: defekte Panzer, fehlende Munition, frustrierte Soldaten. Ministerinnen und Minister wechselten, die Probleme aber wuchsen.17.01.2023 | 12:52 min
"Erfahrung, Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit" – so pries Kanzler Olaf Scholz den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in einer ersten Stellungnahme am Dienstag an. Fähigkeiten, die dringend benötigt werden, denn Amtsvorgängerin Christine Lambrecht hinterließ die Bundeswehr kaum gerüstet für anstehende Aufgaben.
Gerade erst konnte Deutschland mit Mühe Schützenpanzer für die Nato-Eingreiftruppe VJTF bereitstellen. Anstatt der ausgefallenen Puma-Schützenpanzer muss die Bundeswehr auf veraltete Marder zurückgreifen. Und die VJTF ist erst der Anfang.
Deutschland hat noch deutlich umfangreichere Zusagen an die Nato für die kommenden Jahre gemacht. Laut internen Bundeswehr-Papieren und Experten kann die Bundeswehr diese Zusagen kaum noch einlösen.
Diese Nato-Verpflichtungen kommen auf die Bundeswehr zu
Die Bundeswehr hat der Nato mehrere voll ausgerüstete Divisionen zur Bündnisverteidigung versprochen. 2025 muss die erste davon mit 30.000 Soldatinnen und Soldaten bereitstehen. 2027 folgt eine weitere.
Der designierte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius trete ein schweres Erbe an, sagt der Militärhistoriker Sönke Neitzel. 17.01.2023 | 2:46 min
"[Es] ist auch ein Ziel dieser Division, dass sie nicht nur für drei Monate, sondern dauerhaft in den Einsatz gehen kann", sagt Christian Mölling, Verteidigungsexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Um das dauerhaft durchzuhalten, brauche es eigentlich das Dreifache an Soldaten, also knapp 90.000, so Mölling zu ZDF frontal.
In vertraulichen Berichten beschreibt die Bundeswehrführung diese "Division 2025" als "fundamentale Neuausrichtung der Einsatzbereitschaft". Es entspreche "dem zwei- bis fünffachen des Umfangs" der bisherigen Kräfte. Mit Blick auf die aktuell verfügbaren Kräfte, hielt Heeres-Inspekteur Alfons Mais im Oktober 2022 fest:
"Das wichtigste Land Europas, in der Mitte Europas, kann zur Zeit nicht garantieren, dass es die Aufgaben, die es übernommen hat in der Nato, tatsächlich gesichert durchführt", sagt Mölling.
Soldaten kehren der Bundeswehr den Rücken
Wann immer die Bundeswehr bislang Truppen für Einsätze benötigte, suchte sie Material und Personal aus verschiedenen Einheiten zusammen. Das Verteidigungsministerium (BMVg) sprach vom "dynamischen Verfügbarkeitsmanagement".
Scholz' Rede von der Zeitenwende hatte bei vielen Soldaten Hoffnungen geweckt, dass die Lage bei der Ausrüstung endlich besser würde. Doch viele Beschaffungsvorgänge lassen auf sich warten, oder werden wegen der Inflation zusammengestrichen. Ein Offizier der Panzergrenadiere berichtet ZDF frontal anonym:
"Man spürt eine wachsende Frustration, wenn man täglich die Meldungen bekommt: Munitionsmangel, nicht genug Geld für Übungen, keine Nachbestellung von Fahrzeugen. Kürzungen beim Sondervermögen. Gute Kameraden, erfahrene Kameraden gehen, wollen nicht verlängern. Sie würden gerne, haben aber einfach keine Lust mehr."
Wo fehlt es besonders an Material?
In einer vertraulichen Sitzung des Verteidigungsausschusses im September weist Generalinspekteur Eberhard Zorn auf massive Lücken bei der Artillerie hin. 86 Raketenwerfer werden benötigt, nur 35 seien vorhanden. Von 160 neuen Radhaubitzen, die die Bundeswehr für die geplanten Mittleren Kräfte benötigt, sind noch gar keine bestellt.
Und der Bundeswehr fehlt nach Auffassung der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD) Munition im Wert von mindestens 20 Milliarden Euro – nur rund eine Milliarde zusätzlich aus dem Bundeshaushalt konnte Lambrecht erkämpfen. Im Sondervermögen ist für die Artillerie kein Geld vorgesehen; vier Milliarden wurden wieder gestrichen.
Und Deutschland hat sogar 14 Panzerhaubitzen an die Ukraine abgegeben, ohne dass es Nachbestellungen gab. So steht die Bundeswehr jetzt mit noch weniger Material da als vor dem russischen Überfall auf die Ukraine.
Was muss Verteidigungsminister Pistorius jetzt tun?
Von der neuen Leitung des Verteidigungsministeriums erwartet der Offizier, dass sie ehrliche Ansagen macht, was die Bundeswehr realistisch leisten kann:
Aktuell befände sich die Bundeswehr in einem Teufelskreis, der spätestens 2025 und 2027 wieder neue Offenbarungseide produzieren werde, so der Offizier.
Je länger Deutschland zögert, neues Material zu bestellen, desto weiter nach hinten rückt man in den Auftragsbüchern der Industrie. "Es dauert ungefähr zwei Jahre von der Auftragserteilung bis tatsächlich auch Material, das eigentlich schon bekannt ist, wo also nicht mehr experimentiert werden muss, zur Verfügung steht", erklärt Experte Mölling. "Dann wird es schon sehr, sehr knapp und teilweise möglicherweise sogar unmöglich, diese Zeitlinien noch zu halten und die Truppe komplett auszurüsten.“
Der ambitionierte Plan, das Heer bis 2025 auf Nato-Stand zu bringen, könnte scheitern. Der Bundeswehr und Pistorius läuft die Zeit davon.
Die Nachfolge der zurückgetretenen Christine Lambrecht (SPD) ist geklärt, sie ist eine Überraschung: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister.