Bundeswehr-Lage 2023: "Talsohle lange nicht durchschritten"

    Zustand der Bundeswehr 2023:"Talsohle ist lange nicht durchschritten"

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    Geht es im kommenden Jahr endlich aufwärts bei der Bundeswehr? Trotz Sondervermögen rechnet die Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann mit weiter anhaltenden Problemen.

    Ein Schützenpanzer des Typs Puma auf einem undatierten Firmen-Handout.
    Der Schützenpanzer Puma: Macht Probleme, wird aber dringend in der Bundeswehr benötigt. (Archivbild)
    Quelle: dpa

    Das Jahr 2022 war für die Bundeswehr voller Offenbarungseide. Weder sich selbst noch Verbündete könnte Deutschland in einem großen Krieg verteidigen. Und die kurze Euphorie über die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag zugesagte Zeitenwende war schnell verflogen angesichts unverändert festgefahrener Wehrstrukturen.
    Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), rechnet mit wenig Besserung 2023:

    Die Talsohle ist noch lange nicht durchschritten und schlechte Nachrichten werden wir leider vorerst immer wieder erleben und notgedrungen ertragen müssen.

    Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende Verteidigungsausschuss

    Man sei auf dem richtigen Weg, die Bundeswehr neu aufzustellen, sagt Strack-Zimmermann ZDFheute. "Um zentrale Veränderungen in Zukunft zu erreichen, bedarf es aber neben dauerhaft deutlich mehr finanziellen Mitteln auch eine Strukturveränderung. Die Epoche der Friedensdividende gehört der Vergangenheit an."
    Man habe "unglaublich viele Baustellen anzugehen", es müsse etwa umgehend Munition hergestellt und beschafft werden.

    Militärexperte Mölling: "Sehe nicht viel, was im kommenden Jahr besser wird"

    Der Militärexperte Christian Mölling ist skeptisch, ob man bereits auf dem richtigen Weg ist:

    Ich sehe nicht viel, was im kommenden Jahr besser wird. Bis die guten Botschaften kommen, muss noch viel Arbeit geleistet werden.

    Christian Mölling, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

    Rüstung funktioniert nicht von heute auf morgen, auch nicht in einer akuten Krisenlage. Nach Monaten der Vorbereitung hat der Bundestag am 14. Dezember die ersten 13 Milliarden Euro aus dem Bundeswehr-Sondervermögen bereitgestellt, für 2023 sind 8,5 Milliarden vorgesehen.
    Geld allein reiche nicht aus. "Wir müssen weg vom Denken in Einzelprojekten", so Mölling zu ZDFheute. "Die Bundeswehr ist ein Tanker, der voll auf Friedensbetrieb ausgerichtet ist. Das umzusteuern dauert. Und die Dringlichkeit ist bei den politisch Verantwortlichen nicht angekommen."

    Beschaffungsprozesse bleiben auch 2023 langsam

    Dabei wird das Verteidigungsministerium (BMVg) nicht müde zu erklären, warum die Beschaffung so lange dauere, wie viele monatelange Zertifizierungsschritte nötig sind, bis etwa neue Artilleriegeschosse abgefeuert oder Kampfflieger abheben dürfen.
    Eine grundlegende Neuordnung der komplexen Beschaffungsstrukturen wurde 2022 nicht angepackt und bislang gibt es keine Anzeichen, dass Ministerin Christine Lambrecht (SPD) das im kommenden Jahr nachholen möchte. Nicht das einzige Versäumnis:

    Wir haben noch immer keine Munition, keine Ersatzteile für das beschafft, was wir der Ukraine gegeben haben. Wir kannibalisieren weiter die Bundeswehr. Die Liste der Baustellen wird 2023 also noch länger.

    Christian Mölling, DGAP

    Deutschland übernimmt Führung bei Nato-Speerspitze

    Dabei trägt Deutschland ab Januar mehr militärische Verantwortung als zuvor. Die Bundeswehr stellt für ein Jahr den Kern der Nato-Eingreiftruppe VJTF. Parallel sollen die Vorbereitungen für die geplante Division 2025 an Tempo aufnehmen. Hier hat Deutschland der Nato einen voll ausgestatteten und trainierten Großverband zugesagt, 2027 soll ein weiterer folgen.
    Dass Verbände vor dem Einsatz überall in der Bundeswehr Ausrüstung zusammenklauben, soll der Vergangenheit angehören. Also braucht es ab dem kommenden Jahr deutlich mehr Zulauf an Material - von Kampfbekleidung bis zum Schützenpanzer Puma. Andernfalls wird der Rückstand immer schwerer aufzuholen.

    Überreaktion der Politik beim Puma

    "Die Verfügbarkeit beim Puma kann uns richtig um die Ohren fliegen. Wegen des Skandals macht man eine Vollbremsung, stoppt den Zulauf neuer Fahrzeuge. Wann immer also ein Puma demnächst in die Werkstatt muss, senkt das direkt die Einsatzbereitschaft", erklärt Mölling die Folgen der jüngsten Puma-Debatte.

    Je länger man diese Bremse angezogen hält, desto mehr fährt man die Planungen zur Division 2025 an die Wand. Mit ihrer Überreaktion erzeugt die Politik Schockwellen im System, die lange anhalten.

    Christian Mölling, DGAP

    Auch die von Kanzler Scholz ursprünglich zugesagten zwei Prozent des BIP für Verteidigung können Haushalt und Sondervermögen vorerst nicht liefern. Nach Berechnungen des IW Köln könnten die Ausgaben 2023 bei lediglich 1,5 Prozent liegen.

    Transporthubschrauber: Kritische Info kommt wohl im Januar

    Eine weitere Bombe könnte Ende Januar platzen: Da will die US-Armee Deutschland über die tatsächlichen Kosten für die geplante Beschaffung von 60 schweren Transporthubschraubern vom Typ CH-47 Chinook informieren. Aktuell sind im Sondervermögen rund sechs Milliarden Euro vorgesehen.
    Experten rechnen mit höheren Kosten. Wegen Inflation und weil die Bundeswehr auf eine brandneue Version des Helikopters plus Fähigkeit zur Luftbetankung besteht. Wird der Kostenrahmen gesprengt, drohen schwere Entscheidungen:
    • Weniger Exemplare bestellen: So würde die Mangelverwaltung in der Truppe fortgesetzt. Wichtige Fähigkeiten zur schnellen Luftverlegung etwa an die Nato-Ostflanke könnten gefährdet werden.
    • Mehr Geld bereitstellen: Unwahrscheinlich, dass sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) darauf einlässt, denn er würde so auch einen Präzedenzfall für weitere Rüstungsprojekte schaffen, die über dem Budget liegen. Kritik des Bundesrechnungshofes wäre sicher.
    • Günstigere Chinook-Version kaufen: Die Bundeswehr könnte auf die Option zur Luftbetankung verzichten. Jedoch war diese bereits in der Ausschreibung spezifiziert, sodass der unterlegene Konkurrent Sikorsky womöglich klagen könnte.
    Auch bei anderen Beschaffungsprojekten sind noch viele Fragen offen.

    Was wird aus Ministerin Christine Lambrecht?

    Dass viele Soldaten ihrer politischen Führung wenig abgewinnen können, ist im BMVg nicht neu. Und doch scheint der Ruf von Christine Lambrecht im eigenen Haus bemerkenswert ramponiert.

    Ich bin immer wieder überrascht, wie leidensfähig die Beschäftigten der Bundeswehr sind. Fährt man die Zeitenwende so weiter wie bisher, wird der Frust enorm steigen. Die Lücke zwischen Rhetorik und Realität wird für immer mehr Menschen untragbar sein.

    Christian Mölling, DGAP

    Manche im Ministerium scheinen Lambrecht aktiv loswerden zu wollen. Quasi im Wochentakt werden interne Briefe an Medien durchgestochen. Teils bauen Kritiker nun auf die Hessen-Wahl im Herbst. Dort könnte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kandidieren, Lambrecht ihren Posten in Berlin übernehmen. Eine Personalrochade 2023 könnte eine Option für einen Neustart sein.

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