Auf dem roten Teppich wird gegen die Vergewaltigung von Kriegsopfern protestiert, gleichzeitig feiert die Filmwelt. Über Widersprüche in Kriegszeiten beim Filmfestival Cannes.
Beim Filmfestival in Cannes ist gerade alles anders als sonst. Die Filmwelt feiert, während in der Ukraine Krieg herrscht. Auch in Cannes ist der russische Angriffskrieg allgegenwärtig.
Bei der Eröffnungszeremonie wird überraschend der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet. Während der Premiere von "Three Thousand Years of Longing" hat eine Frau den roten Teppich gestürmt, fast nackt, mit den Farben der ukrainischen Flagge, Blut und dem Spruch "Stop Raping Us" bemalt, den sie aus Protest gegen die Vergewaltigung von Kriegsopfern schrie.
Kurz vor Festival-Beginn wird der Film "Mariupolis 2" ins Programm genommen. Der litauische Filmemacher Mantas Kvedaravicius war ins Kriegsgebiet gereist, um den Angriffskrieg zu dokumentieren. Anfang April wurde er während der Dreharbeiten gefangen genommen und ermordet. So berichten es Zeugen, das Filmfestival und seine Verlobte Hanna Bilobrowa, die das Filmmaterial schnitt und nun in Cannes präsentierte.
Erschreckende Bilder aus dem Ukraine-Krieg haben Premiere
"Mariupolis 2" lässt einen erschüttert zurück. Wo Worte versagen, sprechen die Bilder. Menschen kauern sich in dunklen Gängen zusammen. Rauch zieht über die Stadt Mariupol und ihre Ruinen. Ein Einwohner sagt:
Der ukrainische Filmschaffende Maksim Nakonechnyi präsentiert in Cannes sein Debüt "Butterfly Vision", das die Geschichte einer ukrainischen Soldatin erzählt, die nach mehreren Monaten Gefangenschaft im Donbass zu ihrer Familie zurückkehrt.
Nakonechnyi ist, wie viele ukrainische Filmschaffende, im Land geblieben, um das Geschehen zu dokumentieren und es der Welt zu präsentieren. Das macht auch Dmytro Sukholytkyy-Sobchuk, der mit seinem Film "Pamfir" nach Cannes gekommen ist - und bei der Premiere sagte, er fühle sich "wie ein Alien". Weil es in Cannes Feuerwerk und Frieden gebe, während in seinem Heimatland eine andere Realität vorherrscht.
Die Frage nach dem Boykott russischer Künstler
Ein weiterer Beitrag eines ukrainischen Regisseurs ist "The Natural History of Destruction" von Sergei Loznitsa, der von der Zerstörung deutscher Städte durch alliierte Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg erzählt. Der Film wurde vor dem Angriffskrieg Russlands realisiert.
Loznitsa wurde von der Filmakademie seines Landes ausgeschlossen, weil er den geforderten vollständigen Boykott russischer Filme nicht unterstützen wollte. Das führt zu einem prominenten russischen Regisseur, der ebenfalls in Cannes vertreten ist: Kirill Serebrennikow. Er präsentiert im Wettbewerb seinen neuesten Film über die desolate Ehe des Komponisten Peter Tschaikowsky und seiner Frau Antonina Miliukova.
Doch auf der dazugehörigen Pressekonferenz geht es weniger um den Film, sondern um die Frage, wer diesen finanziert hat und ob bedenkliche russische Gelder im Spiel waren (Serebrennikows Antwort lautet: Nein). Es geht um den Krieg und wieder um die Frage nach dem Boykott russischer Künstler, den Serebrennikow nicht unterstützt.
Trotz Ukraine-Krieg gibt es auch Promi-Tratsch und Champagner
Auch Außenstehende wie Schauspieler Woody Harrelson äußern sich in Cannes zum Krieg. Neben all diesen Beiträgen und Diskussionen geht das Festival an anderer Stelle weiter wie immer. Personen schreiten in Abendgarderobe über den Teppich, es wird Champagner getrunken. Zwei Frauen diskutieren an einer Bar, ob die Haare von Tom Cruise gefärbt sind.
Stichwort Tom Cruise: Zur Präsentation seines Blockbusters, "Top Gun: Maverick", fliegt die Kunstflugstaffel der französischen Luftwaffe über das Festspielhaus.
Eine seltsame Entscheidung, während in Europa ein Angriffskrieg herrscht.
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Krieg und glamouröse Feiern sind in Cannes gleichzeitig Thema. Iris Berben, für ihre Rolle im Film "Triangle of Sadness" nach Cannes gekommen, hinterfragt diesen Widerspruch:
Trotzdem sei Kultur, Kunst und Film immer auch ein Bindeglied. "Es ist immer auch die Möglichkeit, sich miteinander zu verknüpfen." Damit man nicht in der eigenen Hilflosigkeit stagniere.
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