20 Jahre hat er gebraucht, jetzt steht Friedrich Merz wieder in der ersten Reihe der CDU. Im dritten Anlauf hat ihn seine Partei an die Spitze gewählt. Und das sehr selbstbewusst.
Um die 80 Prozent hatte er sich gewünscht. Am Ende sind es sogar mehr: 94,62 Prozent der Delegierten haben Friedrich Merz zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt. Da bleibt selbst einem Politikprofi wie Merz kurz die Stimme weg und er kämpft mit den Tränen.
Es ist das Signal, das die Partei und der neue CDU-Vorsitzende von diesem digitalen Parteitag senden wollen: Wir sind wieder da, wir sind wieder zusammen, es geht aufwärts. Ob das gelingt, ist eine ganz andere Frage. Dafür braucht es sicher mehr als einen gut choreographierten Parteitag.
Merz: Weiter Weg aus der Niederlage
Merz hatte es in den Tagen vor seiner Wahl noch selbst gesagt: Die Partei steht mit dem Rücken zur Wand. Bei der Bundestagswahl im Herbst erreichte sie mit 24 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. In keiner Altersgruppe lag sie noch vorn, noch nicht einmal bei den Älteren. Die Frage sei, so Merz, ob die CDU Volkspartei bleibe und wieder auf mehr als 30 Prozent komme. "Das ist nicht sicher."
Auf dem digitalen Parteitag hält Friedrich Merz seine Bewerbungsrede. Matthis Feldhoff ist in Berlin und hat Details.
So düster sah Merz die Lage in seiner Bewerbungsrede beim Parteitag nicht mehr ganz. Zwar machte er deutlich, dass sich der Streit innerhalb der CDU und zwischen CDU und CSU "nie wieder wiederholen darf". Aber: Der Weg aus der Niederlage könne ein weiter Weg werden, es könne auch "niemand sagen, ob es überhaupt gelingt". Merz blickte aber nach vorn: "Die Zeit liegt jetzt hinter uns."
Und das zeigte er in seiner Bewerbungsrede überdeutlich.
Angriff auf Scholz und Pläne für neue Sozialpolitik
Merz griff Bundeskanzler Olaf Scholz frontal an. Impfpflicht, Inflation, steigende Energiepreise, Spannungen in der Ukraine: Scholz habe keine Antworten, findet Merz. Spreche Scholz überhaupt mit Washington oder Moskau, um die Krise zu entspannen? "Alle Ihre Vorgänger", so Merz, "hätten in dieser Lage Führung gezeigt."
Merz' Rede auf dem Parteitag in voller Länge:
Neben einer neuen, starken Oppositionsrolle ging es Merz aber auch um ein neues Grundsatzprogramm der CDU. Die Partei müsse Fragen beantworten, die vor allem von der jungen Generation gestellt würden: Wie passten die soziale Marktwirtschaft und die Transformation der Wirtschaft durch den Klimawandel zusammen?
Wie könnten die sozialen Sicherungssysteme, vor allem die Rente, künftig den Jüngeren ein Auskommen sichern? "Das", so Merz, "ist die größte intellektuelle Aufgabe, hier neue Vorschläge zu machen."
Die zweite Frage: Man müsse "intensiver über Chancen und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft nachdenken". Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien bräuchten Aufstiegschancen, die Bildungspolitik müsse besser werden. Schutz der Familie, Schutz der Schwachen, eine starke Bundeswehr, eine geeinte Gesellschaft, das sei laut Merz das Ziel.
Die CDU "lebt", so Merz. Sie brauche jetzt aber "starke Führung" und ein neues Miteinander. "Für den klaren Kurs müssen wir selber sorgen." Das gelte für die Partei selbst und vor allem auch für das Verhältnis mit der CSU. Deren Vorsitzender Markus Söder bot per Videobotschaft Merz die Hand. Das Verhältnis beider Parteien sei nicht erst 2021 schwierig geworden. "Das ein oder andere", habe sich schon früher eingeschlichen. Dass man die Wahl nicht gewonnen habe "tut uns leid, tut mir leid", sagte Söder.
Beste seiner drei Bewerbungsreden
Merz' Rede war vielleicht eine seiner besten. Jedenfalls entschlossener und selbstbewusster als die Reden, mit denen er 2018 gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und 2021 gegen Armin Laschet den Vorsitz verloren hatte.
Ob er seine Skeptiker tatsächlich überzeugt hat, wie es das Wahlergebnis es glauben machen könnte, und ob es mehr als der unbedingte Wille zum Neuanfang sein wird, wird sich schon bald zeigen.
Drei Landtagswahlen stehen in den kommenden vier Monaten an. In allen drei Ländern - Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen - muss ein CDU-Ministerpräsident seinen Posten verteidigen. Schaffen sie es nicht, wird auch an Merz hängen bleiben, dass der Neuanfang eben nicht oder noch nicht funktioniert hat.
Einen möglichen Stolperstein muss er dafür möglichst schnell ausräumen: Er muss sich mit Ralph Brinkhaus einigen, wer die Fraktion im Bundestag führt. Brinkhaus ist noch bis Ende April gewählt und möchte Fraktionschef bleiben. Merz sagte am Samstag:
Partei will stille Einigung mit Brinkhaus
Das klang sehr danach, dass er die Rolle selbst übernehmen will, war aber klug genug, um Brinkhaus nicht öffentlich vor den Kopf zu stoßen, ohne ihm als noch nicht offizieller Vorsitzender ein Amt anbieten zu können. Brinkhaus selbst meldet sich beim Parteitag mit einem Grußwort per Videobotschaft, was wenig nach Rückzug klang.
Die Erwartung in der Partei ist klar: Wenn er das macht, dann sollen sich die beiden Herren schnell und still einigen. Bitte kein offener Machtkampf wie zwischen Armin Laschet und Markus Söder um die Kanzlerkandidatur, die ein Mosaikstein der Wahlniederlage war.
Wenn Ämterteilung, "dann müssen sich die beiden blind verstehen, sonst wird das nichts", sagte Carsten Linnemann, der einer der Merz-Stellvertreter sein will.
2002 hatte Merz sich selbst aus der ersten Reihe der CDU zurückgezogen, als Angela Merkel als Parteivorsitzende ihm den Fraktionsvorsitz nahm und statt ihm nach der Wahlniederlage die neue starke Frau in der Partei wurde.
Ausgerechnet Frauenunion nicht im Präsidium
Merz muss nun seine neue Führungstruppe formen. Sein Generalsekretär, der Berliner Mario Czaja, wurde mit ähnlich hohem Ergebnis wie er gewählt. Bis auf Silvia Breher gibt es nun vier neue Stellvertreter: Michael Kretschmer, der das beste Ergebnis der Delegierten bekam, Alexander Jung, Carsten Linnemann und Karin Prien. Leute, die bislang die Partei geprägt haben, wie Jens Spahn oder Julia Klöckner, rücken in die zweite Reihe.
Überraschung gab es bei der Wahl für das Präsidium. Erstmals gab es bei der CDU mehr Kandidaturen als Plätze, erstmals mehr Frauen als Männer. Ausgerechnet die Vorsitzende der Frauenunion, Anette Widmann-Mauz, bekam als einzige keinen Platz im Präsidium. Obwohl auch Merz die Partei weiblicher machen will.
- Mehr Frauen in der CDU? "Jetzt schauen wir"
Sie kämpft für mehr Frauen in der CDU und kann nicht sicher sein, ob sie selbst im Parteivorstand bleibt: Annette Widmann-Mauz. Morgen beginnt der Parteitag. Ohne Quote, wieder.
Der neue Bundesvorstand der CDU wird sich schon heute konstituieren. So richtig im Amt wird Merz allerdings erst am 1. Februar sein. Denn die Delegierten haben heute digital abgestimmt und müssen ihre Wahl jetzt noch einmal schriftlich bestätigen. Ende Januar soll das Ergebnis vorliegen. Erst dann ist Merz auch juristisch CDU-Vorsitzender.
Für manche schien die Wahl von Merz offensichtlich schon ein Selbstläufer. Oder nicht so wichtig? Olav Gutting, Bundestagsabgeordneter aus Bruchsal-Schwetzingen, vertrieb sich die erste Zeit des Parteitags jedenfalls mit anderen Dingen. Mit der Zubereitung von Spätzle.