Ausgerechnet beim ersten digitalen Parteitag entscheidet die CDU über ihre Zukunft - und wohl auch über die des Landes. Gewinnen wird nicht unbedingt der überzeugendste Kandidat.
Es dürfte ein etwas surrealer Moment werden. Irgendwo auf dem Berliner Messegelände wird am Samstag auf einem Monitor der Veranstalter das Ergebnis aufploppen. Keine Stimmkarten vorher, kein Gedrängel, kein Geraune im Saal. Stattdessen: maximale Nüchternheit. Ausgerechnet jetzt, da das so oft überstrapazierte Wort "historisch" angemessen wäre.
Warum es historisch ist, zeigt sich, wenn man versucht, sich gedanklich mal eben ins Jahr 2025 zu beamen:
Szenario 1: Armin Laschet regiert seit fast vier Jahren in Berlin solide durch, Jens Spahn fühlt sich in Düsseldorf auch ganz wohl als Ministerpräsident und Friedrich Merz hat wieder eine private Anschlussverwendung gefunden (die auch künftig ein vernünftiges Auskommen in der gehobenen Mittelschicht garantiert).
Szenario 2: Friedrich Merz ist gerade mal wieder auf Wahlkampf-Tour, er will diese zweite Amtszeit als Kanzler unbedingt und kämpft dafür, die AfD nun sogar unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken.
Szenario 3: Norbert Röttgen will nicht erneut für den CDU-Vorsitz kandidieren, wohl aber einen Posten im Kabinett Söder haben - falls der gewinnt, gegen Amtsinhaberin Baerbock.
[Wie die Wahl zum CDU-Vorsitzenden genau ablaufen wird, lesen Sie hier.]
Wahl ist Richtungsentscheidung für CDU
Jeder mag selbst darüber befinden, welches Szenario das realistischste (bzw. unrealistischste) ist - eines aber haben sie und die unzähligen anderen gemein: Sie alle werden auf die Wahl am Samstag zurückzuführen oder zumindest maßgeblich dadurch beeinflusst sein. Die Spannbreite der möglichen Varianten zeigt, wie grundlegend die Richtungsentscheidung ist, vor der die Partei nun steht.
Das Ergebnis wird zudem maßgeblich Einfluss darauf haben, wie mit dem Erbe der Kanzlerin in der Partei umgegangen wird. Und auf das Parteiengefüge insgesamt. Die Rückkehr zu erkennbar liberal-konservativen Position könne helfen, die zur AfD abgewanderten Wähler in das politische Spektrum zurückzuholen, sagt etwa Historiker Andreas Rödder, selbst CDU-Mitglied.
Merz - der Mann jenseits der Mitte
Hierfür stünde zweifellos Friedrich Merz am ehesten, nach wie vor Sehnsuchtsfigur all jener, die den Drift ihrer Partei hin zur Mitte ablehnten und (neben der prinzipiell eher antirevolutionären christdemokratischen Grundhaltung) es nur deswegen still ertrugen, weil Angela Merkel lange Zeit verlässlich hohe Wahlergebnisse einfuhr und damit ihrer Partei Mandate und Posten sicherte.
Eben jene elastisch-pragmatische Grundhaltung wird wohl auch nun das Ergebnis prägen. Die 1.001 Delegierten, die über den Parteivorsitz abstimmen, sind eine Art Mittelbau der Partei, darunter viele Funktionsträger, die noch ein paar Stufen hoch wollen in ihrem persönlichen Polit-Kosmos.
Kandidat muss Bundestagswahl können
Was die Chancen desjenigen Kandidaten erhöht, der am ehesten einen - nach Möglichkeit: komfortablen - Sieg bei der Bundestagswahl verspricht. Denn dessen Wirkung kann man sich am ehesten wie die eines überdimensionalen Saugers vorstellen: Er zieht alle nach oben. Mehr Bundestagsmandate gleich mehr Chancen auf Landesebene gleich mehr freie Plätze auf Kreisebene.
Durchaus möglich, dass dieses kühl-mathematische Argument am Ende mehr Kraft entfaltet als jedes sachpolitische. Klar: Vielleicht hält einer der Kandidaten die Rede seines Lebens. Aber wird das viele Delegierte so in Wallung versetzen, dass sie nochmal kurzfristig umschwenken? Am heimischen PC? Samstagmorgens? Auch in dieser Beziehung limitiert das digitale Setting.
Digital-Parteitag macht Überraschungen unwahrscheinlich
Normalerweise sind Parteitage so etwas wie Klassenfahrten für Erwachsene, wo sich am Rande, beim Bier und/oder im Zelt des Zigarettensponsors mitunter Dynamiken ergeben, die auf Wahlergebnisse rückwirken können. Diesmal: eher nicht.
Nicht wenige leiten aus all dem ab, Armin Laschet habe die besten Chancen. Selbst mancher, der dem Aachener wohlgesonnen ist, unterstellt ihm nicht, overperformt zu haben im Mini-Wahlkampf der drei Kandidaten. Aber viele trauen ihm am ehesten zu, in der Mitte zu punkten - wo Friedrich Merz, so die Kalkulation vieler, mehr verlieren würde, als er rechts zurückgewinnen könnte.
Aber: Vielleicht kommt auch alles anders. Spannend bleibt es. Bis Samstag die Zahl aufploppt.