Die Ukraine prüft unbestätigte Informationen über einen möglichen Chemiewaffeneinsatz von russischen Truppen in Mariupol. Auch Großbritannien und die USA gehen Hinweisen nach.
Die Ukraine prüft unbestätigte Informationen über einen möglichen Einsatz von Chemiewaffen beim Kampf um die von russischen Truppen eingekesselte Hafenstadt Mariupol. "Es gibt eine Theorie, dass es sich um Phosphormunition handeln könnte", sagte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Dienstag im Fernsehen. "Offizielle Informationen kommen später."
Ukrainische Kämpfer berichten über Atemprobleme
Das ukrainische Asow-Bataillon, das in Mariupol kämpft, hatte am Montag im Messengerdienst Telegram erklärt, eine russische Drohne habe eine "giftige Substanz" auf ukrainische Soldaten und Zivilisten abgeworfen. Betroffene hätten danach unter Atemproblemen und neurologischen Problemen gelitten. Batallionsgründer Andrej Biletsky sagte in einer Videobotschaft: "Drei Menschen haben deutliche Anzeichen einer Vergiftung durch Kriegschemikalien, aber ohne katastrophale Folgen." Die Angaben lassen sich nicht verifizieren.
Wie weit wird Putin gehen? Nicht nur die USA warnen vor einem möglichen Einsatz von Chemiewaffen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Montag davor gewarnt, dass Russland Chemiewaffen einsetzen könnte. Großbritannien und die USA erklärten, ihnen seien Berichte bekannt, dass Russland möglicherweise bereits chemische Kampfstoffe im Kampf um Mariupol verwendet haben könnte.
Großbritannien prüft Berichte über Chemiewaffeneinsatz in der Ukraine
"Es gibt Berichte, dass die russischen Streitkräfte bei einem Angriff auf die Bevölkerung von Mariupol chemische Kampfstoffe eingesetzt haben könnten", schrieb Außenministerin Liz Truss Montagabend auf Twitter. Diese Berichte würden nun verifiziert werden.
Falls Russland tatsächlich Chemie-Waffen eingesetzt hat, dann sind der britischen Regierung zufolge für eine Reaktion darauf alle Optionen auf dem Tisch. "Es gibt einige Dinge, die jenseits des Erlaubten liegen", sagte der für die Streitkräfte zuständige Minister James Heappey dem Sender "Sky News". Ein Einsatz chemischer Waffen würde eine Reaktion des Westens hervorrufen. "Und alle Optionen liegen auf dem Tisch, wie diese Reaktion aussehen könnte."
Britischer Geheimdienst: Bisher keine Bestätigung der Informationen
Bislang habe der britische Militärgeheimdienst keine Bestätigung für die Informationen über einen Einsatz von Chemiewaffen. Auf die Frage von "LBC Radio", ob Heappey bei einer bewiesenen Anwendung solcher Kampfstoffe einen Einsatz britischer oder Nato-Soldaten auf ukrainischem Boden ausschließen könne, antwortete er: "Nein, alle Optionen sind auf dem Tisch."
Der "BBC" sagte Heappey zudem, der russische Präsident Wladimir Putin solle sich darüber im Klaren sein, dass der Einsatz von Chemie-Waffen schlicht nicht akzeptabel sei:
SPD-Sprecher Schmid: Keine direkte Nato-Beteiligung
Falls die Berichte bestätigt werden, wäre das ein "schweres Kriegsverbrechen, ein erneutes in einer langen Reihe dieser Kriegsverbrechen", sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD. Dementsprechend müsse es dokumentiert werden und die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Dennoch schließt er weiterhin eine Nato-Beteiligung vor Ort aus.
Schmid gehe davon aus, dass das auch für die britische Regierung gilt.
"Käme es zu einem Einsatz von Chemiewaffen, würde ein Schrei laut werden", so Markus Kaim, Stiftung Wissenschaft und Politik. Die NATO würde ihre Möglichkeiten "neu kalkulieren müssen."
Einsatz von Chemiewaffen: Auch die USA gehen Hinweisen nach
Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, erklärt, auch Washington habe unbestätigte Informationen über einen Chemiewaffenangriff in der strategisch wichtigen Stadt.
Kirby verwies auf "Bedenken" des US-Militärs, dass Russland "verschiedene Mittel", "insbesondere Tränengas gemischt mit chemischen Kampfstoffen, in der Ukraine einsetzen könnte".
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Separatisten hatten Chemiewaffeneinsatz angedeutet
Das Verteidigungsministerium in Moskau reagierte zunächst nicht auf eine Anfrage. Doch die pro-russischen Separatisten in der ostukrainischen Region Donezk, die sich gemeinsam mit russischen Truppen um die endgültige Einnahme Mariupols bemühen, bestritten einen Einsatz von Chemiewaffen. Das meldete die russische Nachrichtenagentur "Interfax" unter Berufung auf Eduard Bassurin, einen Kommandeur der Separatisten.
Jedoch hatte Eduard Basurin erst am Montag die Möglichkeit eines Chemiewaffeneinsatzes in der Stadt angesprochen. Demnach könnten die Separatisten sich "an chemische Truppen wenden, die einen Weg finden werden, die Maulwürfe in ihren Löchern auszuräuchern", zitierte ihn die russische Nachrichtenagentur "Ria Novosti".
Mariupol: Soldaten bereiten sich auf "letzte Schlacht" vor
Knapp sieben Wochen nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ist die militärische Lage in Mariupol prekär. Die einst mehr als 400.000 Einwohner zählende Stadt ist inzwischen weitgehend zerstört, die humanitäre Lage katastrophal. Ukrainische Soldaten erklärten, sie bereiteten sich auf die "letzte Schlacht" vor. Die Vorräte gingen aus und die Hälfte der Soldaten sei verwundet. Pro-russische Separatisten aus der Region Donezk meldeten zudem die Einnahme des Hafens von Mariupol.
Nachdem Russland die Ukraine aufforderte in Mariuopl ihre Waffen niederzulegen, meldete sich Präsident Selenskyj am 21.03.22 mit einer Videoansprache zu Wort.
Die ukrainischen Behörden gaben sich indessen kämpferisch. Der stellvertretende Bürgermeister der Stadt, Sergej Orlow, sagte gegenüber der "BBC":
Die ukrainische Armeeführung erklärte unterdessen auf Telegram: "Die Verteidigung von Mariupol geht weiter." Die Verbindung zu den Truppen dort sei "stabil". Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte am Montagabend in einer Videoansprache mehr Waffen von seinen Verbündeten, um die "Blockade" von Mariupol zu beenden. In seinem Video-Gespräch mit Südkorea sprach er von "mindestens zehntausenden" Toten durch die russische Belagerung Mariupols.
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