Wie Cherson von der Ukraine zurückerobert wurde

    Wie Cherson zurückerobert wurde:Vorbei an einem Friedhof aus Panzerteilen

    ZDF-Reporter Dara Hassanzadeh in Saporischschja
    von Dara Hassanzadeh
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    Russland hat sich zurückgezogen, die ukrainische Armee steht vor der Stadtgrenze Chersons: Wie die Stadt zurückerobert werden konnte. Erste Eindrücke aus der Region.

    Die Rückeroberung von Cherson ist ein großer Schritt für die Ukraine. Sie macht ein Vorrücken Russlands nach Odessa nahezu unmöglich, bringt Stellungen auf der Krim in Reichweite der Artillerie und bringt geliebte Melonenfelder um Cherson zurück.
    Im Juli klang es fast vermessen, als Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Großoffensive auf Cherson ankündigte. Mit einher ging eine gewaltige Mobilisierung von Reservisten. Die ukrainische Armee wurde auf über 1,2 Millionen Soldaten vergrößert.

    Selenskyj wollte klares Zeichen vor Cherson-Offensive

    Und Selenskyj vollzog überraschende Personalentscheidungen: Er setzte die überaus bekannte und selbst im Ausland populäre Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa ab. Sie hatte sich mit den Ermittlungen zu russischen Kriegsverbrechen in Butscha einen Namen gemacht.
    Auch der Chef des Geheimdienstes Iwan Bakanov wurde entlassen. In beiden Behörden wurden unverhältnismäßig viele Fälle von Hochverrat und Kollaboration mit Russland festgestellt und Hunderte von Ermittlungsverfahren eingeleitet. Selenskyj wollte ein klares Zeichen setzen vor der Großoffensive auf Cherson.

    Russland konnte Cherson leicht erobern

    Nicht ohne Grund. Cherson war als erste und einzige Provinzhauptstadt ohne nennenswerte Gegenwehr von der russischen Armee erobert worden. Es war ein leichtes Vorrücken, denn die zentrale Antoniwka-Brücke über den Kilometer breiten Dnipro war nicht gesprengt worden. Diese verheerende Entscheidung ging auf Kollaboration im Staatsapparat zurück, darüber ist man sich in Kiew einig.
    Die wenigen ukrainischen Truppen konnten der russischen Übermacht nicht standhalten.
    Karte, Ukraine: Städte mit mehr als 400.000 Einwohner + Cherson (ca. 287.000)
    Cherson liegt im Süden der Ukraine.
    Quelle: ZDF

    Elefantenfriedhof aus Panzerteilen in den Feldern vor der Stadt

    Gestoppt wurde der Vormarsch erst an der Stadtgrenze von Mykolajiw. Auch weil dort ein verheerender, taktischer Fehler der russischen Kommandanten gemacht wurde. Die vorrückenden Panzer verteilten sich nicht, sondern sammelten sich an einem Punkt zum weiteren Vormarsch. Sie waren ein leichtes Ziel für die Ukraine. Und noch heute sieht man eine Art Elefantenfriedhof aus Panzerteilen in den Feldern vor der Stadt.
    "In Erwartung einer ukrainischen Offensive mit Infanterie, verlegte Russland immer mehr Truppen nach Cherson, darunter kampferprobte Fallschirmjäger-Verbände", sagt Captain Sergij von der 59. Brigade der ukrainischen Armee. "Aber unsere Taktik fußte auf den Einsatz moderner Artillerie, die der Westen uns endlich geliefert hat."



    Ukraine hat Munitionsdepots und Brücken beschossen

    Systematisch wurden russische Munitionsdepots, Kommandostände und Brücken beschossen. Und plötzlich ging die Ukraine in den Angriff auf dem Boden über: im Norden bei Charkiw.
    Der Überraschungscoup gelang. Die russische Armee zog sich fluchtartig aus Charkiw zurück und hatte in Cherson immer größere Schwierigkeiten, die inzwischen auf 30.000 Soldaten angewachsene Verteidigungslinie zu versorgen.
    Welche Folgen der Rückzug Russlands aus Cherson hat, lesen Sie in dieser Militäranalyse:

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    Ein zerstörtes russisches Militärfahrzeug steht in der Nähe des kürzlich zurückeroberten Dorfes Jampil

    Ukraine brauchte Geduld für Rückeroberung

    Eine Schwierigkeit bei dieser Operation war das Aufbringen von Geduld: Unter den einfachen Soldaten, die seit Juli in den Schützengräben unter russischem Artilleriebeschuss auf den Befehl zum Angriff warteten, aber auch in der Bevölkerung. Viele Ukrainer haben Freunde und Verwandte in Cherson, die seit Kriegsbeginn unter russischer Besatzung lebten.
    Wenn es Kontakt per Telefon gab, dann waren die Nachrichten erschreckend. Der russische Geheimdienst suchte gezielt nach prorussischen Aktivisten, Menschen verschwanden spurlos. Demonstrationen gegen die Besatzer wurden mit Schüssen aufgelöst und als weite Teile der Bevölkerung sich weigerten russische Hilfsgüter anzunehmen, wurden die örtlichen Supermärkte nicht mehr versorgt.
    Auch vor diesem Hintergrund versuchte die ukrainische Armee auf kreative Weise, Verständnis für ihre militärische Strategie der Zurückhaltung zu schaffen: Auf die Frage, wann denn mit einer Rückeroberung von Cherson zu rechnen sei, antwortete Presseoffizier Oleg vor einigen Wochen vor laufender Kamera: Dazu könne er nichts sagen - Pause - es folgte ein Biss in die Melone.
    Der Video-Ausschnitt auf Twitter:
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