Nach Abzug von Russen bei Cherson: Hunger und Trauma bleiben

    Cherson nach Russlands Abzug:Was bleibt: Hunger, schreckliche Erlebnisse

    von Henner Hebestreit
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    Die russischen Soldaten haben sich aus einigen Orten um Cherson zurückgezogen. Doch die Traumata der Menschen bleiben.

    Einwohner von Cherson stehen Schlange, um Behälter mit Trinkwasser zu füllen.
    Einwohner von Cherson stehen Schlange, um Behälter mit Trinkwasser zu füllen.
    Quelle: dpa

    Wir sind unterwegs in der Nähe von Cherson zu Orten, die erst vor wenigen Tagen von den russischen Truppen geräumt wurden. In Snihorivka hatten Moskaus Soldaten eine Garnison eingerichtet, die Bevölkerung nicht mehr aus dem Ort gelassen.
    Die 15-jährige Olga hat die achtmonatige Besatzung der russischen Soldaten in Snihorivka bei Cherson hautnah miterlebt. Schwere Strafen wurden ihr angedroht, weil Olga nicht den russischen Schulunterricht besuchen wollte.
    Ihre Mutter weigerte sich, sagte, sie würde weiterhin am Online-Unterricht ihrer eigenen Schule teilnehmen. "Der ist aber ständig ausgefallen, weil es wegen der Russen keine Verbindung zum Internet mehr gab", erzählt Anna. Bevor die Situation um ihre Tochter eskalieren konnte, sind die Russen abgezogen.

    Schlangen der Hungrigen zu lang für Lebensmittelspenden

    Jetzt warten Mutter und Tochter jeden Tag auf einem Platz in der Mitte des Ortes und hoffen auf Lebensmittelspenden. Heute werden von einem großen Lastwagen Kohlköpfe an die Wartenden verteilt, zu wenige sind es für alle, die hier stehen. Die Läden im Ort, auch die Apotheken sind geschlossen.
    Einige Wochen vor Snihorivka konnten ukrainische Truppen die Besatzer schon aus der Region um Charkiw im Nordosten des Landes vertreiben. Dort ist Hilfe auch mit Mitteln von Unicef bereits angelaufen.
    "Wir haben Medikamente, Hygieneartikel und Essen in viele Dörfer im Umland gebracht", erzählt die stellvertretende Bürgermeisterin von Balakliya, Larisa Bludova, die mit Unicef die Verteilung von Hilfsgütern organisiert.

    Dort waren die Menschen sehr dankbar, denn sie haben weder Gas, Wasser noch Strom. Alles, was sie kochen, wird auf offenem Feuer erhitzt.

    Larisa Bludova, Politikerin

    "Sechs Monate lang haben sie weder Renten bekommen, noch irgendwelche andere humanitäre Unterstützung", berichtet die Politikerin.

    15-Jährige über Besatzungszeit: "Ich habe viel gelesen"

    Olga steht im Hof des kleinen Häuschens und lässt an einem langen Seil einen Eimer in den Brunnen hinab, gefüllt mit Trinkwasser, kurbelt sie ihn wieder hoch. Auch sie kocht ihren Tee auf einem Holzofen.



    Während die russischen Soldaten in der Stadt waren, hat sie das Haus kaum verlassen. Nicht viele Mädchen in ihrem Alter waren geblieben, die meisten hatten sich zu Beginn des Krieges in der Ukraine mit ihren Eltern abgesetzt. "Ich habe viel gelesen, über 100 Bücher", berichtet Anna.

    Traumatische Erlebnisse für alle

    Kurz vor einer strategisch wichtigen Kreuzung passieren wir die Überreste eines völlig zerstörten ukrainischen Munitionstransports, der die Front nicht erreicht hat. Soldaten sind immer noch dabei, Minen zu entschärfen. Vor zwei Tagen erst wurde einer von ihnen bei der Explosion einer Sprengfalle am Friedhof von Snihorivka schwer verletzt. Es sind traumatische Erlebnisse für alle hier.
    Olga merkt man die Belastungen der Besatzungszeit nicht sofort an. Vielleicht hat sie das Talent, sich zu verstellen - ihr größter Berufswunsch jedenfalls ist es Schauspielerin zu werden.
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