Männliche Tibeter werden von China "überzeugt", Gen-Material abzugeben. Doch wozu braucht das Regime eine DNA-Datenbank in dem autonomen chinesischen Gebiet?
Ein etwa sechsjähriger Junge in blau-gelber Schuluniform-Jacke, der vor einem Tisch mit einem Polizeibeamten und vielen Papieren steht. Neben ihm ein weiterer. Er hat die Jacke über die Armbeuge geschoben, vor ihm eine Frau in hellblauem Kittel mit einer Nadel zur Blut-Abnahme in der Hand.
So sehen die Fotos aus, die zeigen sollen, was mehrere Berichte China gerade vorwerfen: Die chinesische Polizei soll in Tibet massenhaft DNA-Daten sammeln, auch von Kindern. Das geht aus einer Untersuchung von Forscherinnen und Forschern der Universität Toronto sowie aus einem Bericht von Human Rights Watch hervor.
Was steckt dahinter? Warum sammelt China die Daten und warum ist das problematisch?
Die News: China sammelt DNA-Daten in Tibet
Der Bericht aus Toronto kommt zu dem Schluss, dass die chinesische Polizei über die DNA-Daten von bis zu einem Drittel (32,9 Prozent) der Gesamtbevölkerung Tibets (3,66 Millionen) verfügt. Dazu untersuchten die Forscherinnen und Forscher laut eigenen Angaben bis zu 100 öffentlich zugängliche Quellen von 2016 bis 2022.
Human Rights Watch kritisiert vor allem, dass die Polizei keine Beweise für kriminelles Verhalten benötige, um die Proben zu nehmen. Es geht also nicht darum, ein Verbrechen aufzuklären, sondern um das systematische Sammeln dieser Daten - auch von Kindern. Die Behörden rechtfertigen die Datensammlung als Mittel zur Verbrechensbekämpfung, zum Auffinden vermisster Personen und zur Sicherung der sozialen Stabilität.
Auf Wechat, einem Messenger-Dienst, der mit WhatsApp oder Facebook verglichen werden kann, veröffentlichte ein örtliches Polizeirevier sogar einen Bericht über die Sammlung der DNA-Daten und Fingerabdrücke. Darin heißt es, die Polizei habe "geduldig erklärt, um alle Verwirrung und Zweifel bezüglich der Sammlung der persönlichen Daten direkt zu beseitigen". Das ist Propaganda-Sprache für: Es gab keine Möglichkeit, sich der Proben-Entnahme zu entziehen.
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Das Ziel: Die größte DNA-Datenbank der Welt
In dem Polizei-Beitrag heißt es außerdem, die Proben würden für den Aufbau einer Datenbank aller männlichen Bewohner genutzt. Dass China Gen-Material sammelt, ist nicht neu. Das Land soll bereits die größte DNA-Datenbank der Welt haben - und sie weiter ausbauen. Daten aus Tibet sind allerdings besonders heikel.
Tibet ist ein autonomes chinesisches Gebiet im Südwesten des Landes, im Himalaya-Gebirge. China unterdrückt die Menschen dort seit Jahren, geht massiv gegen Sprache und Kultur der Tibeter vor. Immer wieder gibt es Berichte von Zwangsarbeit, Umerziehungslagern und Tibetern, die sich aus Protest gegen diese Politik selbst anzünden.
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Das Problem: Daten als Mittel zur Unterdrückung?
Die Daten-Sammlung ist für viele ein Alarm-Signal. Die chinesische Regierung kann Gen-Material dazu nutzen, ethnische Minderheiten zu unterdrücken, wie sie es in Tibet oder Xinjiang bereits macht. Zusammen mit Kameraüberwachung und Gesichtserkennungssoftware helfen die DNA-Daten, um das totalitäre System der Überwachung und sozialen Kontrolle auszubauen.
Das wirft auch Sophie Richardson, die China-Direktorin von Human Rights Watch, der chinesischen Regierung vor. Die würde den Menschen in Tibet ohne deren Zustimmung jetzt auch noch "buchstäblich das Blut abzapfen", um ihre Überwachungsmöglichkeiten zu verbessern.
"Tibet ist offensichtlich Versuchslabor für die repressiven Methoden der Kommunistischen Partei, dazu zählen eine ständige, technologisch forcierte Massenüberwachung und die Stationierung von Kadern der Kommunistischen Partei in Dörfern, Städten und buddhistischen Klöstern", heißt es von der größten Tibet-Organisation International Campaign for Tibet als Reaktion auf die Berichte.
Das schreibt der Verein, der sich für die Wahrung der Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes einsetzt.
Die DNA enthält sensible Informationen wie vererbte Krankheiten und mit ihnen können Familienmitglieder eindeutig identifiziert werden. Das ist hilfreich für einen Staat, der sogenannte "Unruhestifter" - oder auch Menschen, die ausländischen Medien wie dem ZDF ein Interview geben - gerne einschüchtert, indem er zum Beispiel Familien-Mitglieder bedroht.