Taiwan: Bevölkerung trainiert für den Kriegszustand
Konflikt mit China:Taiwan: Bevölkerung trainiert Kriegszustand
von Elisabeth Schmidt
|
Die Beziehungen zwischen China und Taiwans größtem Verbündeten, den USA, haben sich zuletzt dramatisch verschlechtert. Taiwans Bevölkerung übt für den Ernstfall.
Übung auf einer Militärbasis in Chiayi (Taiwan)
Quelle: AP
Xiong Qi-sheng weiß genau, wie chinesische Soldatenuniformen aussehen. Sie hängen in seinem Waffengeschäft mitten in Taipeh. Sein Motto ist "Kenne und erkenne Deinen Feind." 15 Jahre war er Soldat in einer taiwanesischen Elite-Einheit, trainierte unter anderem auch in den USA.
Heute produziert sein Unternehmen Maschinengewehre, Pistolen und andere Softair-Waffen. Sie sind originalgetreu nachgebaut, doch ihre Munition ist aus Plastik. Xiongs Kampferfahrung gibt er an Zivilisten weiter. Er veranstaltet Kurse mit Schieß-Übungen, Waffenkunde und Überlebenstrainings für den Ernstfall.
Taiwan könne China wohl nicht alleine besiegen. "Aber wir können sie glauben lassen, dass wir so stark sind, dass sie einen hohen Preis für einen Angriff zahlen müssten", sagt er. Für Xiong vergeht kaum ein Tag, an dem er kein chinesisches Militärflugzeug am Himmel sieht.
Spannungen zwischen China und Taiwan erhöhen sich
Anfang Februar drangen 34 Jets der Volksbefreiungsarmee in den taiwanesischen Luftraum ein. Neun Kriegsschiffe kamen laut Führungskommando in Taipeh gefährlich nahe. Chinas Ziel sei es, Taiwans Verteidigung zu zermürben, sagt Han Gan-Ming, ein hochdekorierter taiwanesischer Ex-General.
Taiwan befinde sich in einer viel schwierigeren Lage als die Ukraine, wenn es um Kämpfe gehe. Die taiwanesischen Streitkräfte seien zunächst auf ihre eigenen Kräfte angewiesen. "Wichtig ist, dass wir unser eigenes Land selbst retten können", sagt Han.
Abhängigkeit vom Ausland
Taiwan ist ein Insel-Staat und importiert 98 Prozent seines Eigenbedarfs. Damit ist es in vielen Bereichen abhängig vom Ausland. Eingeführt werden unter anderem Lebensmittel, Konsumgüter und Waffen. Doch die Insel will unabhängiger werden.
Im Dezember setzte Präsidentin Tsai Ing-wen durch, dass die Wehrpflicht von vier auf zwölf Monate verlängert wird. Wehrpflichtige sollen unter anderem den Einsatz von Flugabwehrraketen trainieren. Umfragen zufolge unterstützen zwei Drittel der Menschen in Taiwan diese Reform.
Akzeptanz der Wehrpflicht
"Vier Monate Wehrpflicht waren angesichts der Spannungen zwischen China und uns ein bisschen zu wenig", sagt John Chiang, der in Taipeh wohnt. Selina Hsu ist optimistisch: "Das reduziert die Kriegsgefahr. Wenn wir mehr trainieren, dann sind wir nicht mehr das alte Taiwan, wir werden stärker. Dann werden sie uns nicht mehr angreifen."
Viele junge Menschen hielten den Wehrdienst in den vergangenen Jahren für pure Zeitverschwendung: zu kurz, zu ineffizient, kaum Zeit für ausreichendes Training an der Waffe. Jetzt hoffen viele auf eine gründlichere Ausbildung.
Der Zweck der Verlängerung des Wehrdienstes bestehe nicht darin, China zu provozieren, erklärt General Han.
Spannungen zwischen China und USA erhöhen sich
China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz. Seit dem Besuch der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taipeh vergangenen August, haben sich auch die Beziehungen Pekings zu Washington dramatisch verschlechtert. Gesprächskanäle wurden gekappt.
Kurz darauf veröffentlichte Chinas Staatsführung ein Grundsatzpapier, in dem die Kommunistische Partei zum ersten Mal einen Militäreinsatz in Taiwan nicht mehr ausschloss: "Wir werden uns mit größter Aufrichtigkeit und mit allen Kräften für eine friedliche Wiedervereinigung einsetzen. Aber wir verzichten nicht auf Gewaltanwendung", heißt es im ersten Weißbuch zur "Taiwan-Frage" seit über zwei Jahrzehnten.
Mutmaßliche chinesische Spionage-Ballons provozieren weiter
Bei ihrem Treffen auf Bali vergangenen November vereinbarten Chinas Staatschef Xi Jinping und US-Präsident Joe Biden, weitere Gespräche zu führen. Doch zuletzt hatte sich der Konflikt zwischen den beiden Staaten durch mutmaßliche chinesische Spionage-Ballons über den USA und Lateinamerika wieder zugespitzt.
Ob und wann China Taiwan angreift, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen bei internationalen Expert*innen. In Taipeh ist Xiong in seinem Waffengeschäft dagegen immer wachsam. Für ihn ist Leben mit der Kriegsgefahr zum Alltag geworden.