Eine allgemeine Corona-Impfpflicht soll bald kommen - und könnte schon kurz darauf das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Auch die Omikron-Variante nährt rechtliche Bedenken.
Kommt die allgemeine Impfpflicht und falls ja, in welcher Form? Diese Frage sorgte beim Corona-Gipfel von Bund und Ländern (MPK) am Freitag vor allem im Detail für einige Diskussionen.
Grundsätzlich unterstützen alle 16 Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen das Vorhaben. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach pocht weiter auf die Impfpflicht. "Wir dürfen nicht mehr in eine Situation geraten, in der ein Sommer trügerisch gut ist, uns aber im Herbst neue Varianten überraschen - und das, ohne dass die breite Bevölkerungsmehrheit geimpft ist. Denn dann ginge alles wieder von vorne los", sagte er der "Welt am Sonntag".
Hinter den Kulissen schwindet jedoch bei den Parteien die Zuversicht, das in einem raschen Verfahren durchziehen zu können. Im Dezember hoffte man noch auf ein Gesetz im Februar, die neuen Beschlüsse nennen keinen Termin - zumal verfassungsrechtliche Vorbehalte eher größer als kleiner werden.
Was ist der Stand bei der Einführung der allgemeinen Impfpflicht?
Formell gestartet ist der Gesetzgebungsprozess noch nicht, eigentlich sollte es in der kommenden Woche losgehen. Jetzt startet am 24. Januar zunächst eine informelle "Orientierungsdebatte". Die erste Lesung ist für den 14. Februar angesetzt. Eine Verabschiedung könnte sich entsprechend bis in den April ziehen.
Bislang liegt lediglich ein Entwurf mehrerer FDP-Abgeordneter um Wolfgang Kubicki vor, die eine allgemeine Impfpflicht ablehnen. Andere Regelungen werden gerade erst im Detail ausgearbeitet.
Einzelne Abgeordnete erklärten bereits über Parteigrenzen hinweg ihre Unterstützung oder Gegnerschaft für bestimmte Modelle. Der Fraktionszwang wird bei der Abstimmung voraussichtlich aufgehoben.
Wie könnte eine allgemeine Impfpflicht aussehen?
Eine Teil-Impfpflicht für Gesundheitsberufe wurde bereits im Dezember beschlossen. Nun geht es um eine allgemeine Impfpflicht für größere Teile der Bevölkerung bis hin zu allen Bürgern.
Stephan Rixen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bayreuth, hält eine Einführung für wahrscheinlich: "Trotz der zunehmenden verfassungsrechtlichen Bedenken und aller Einwände hinsichtlich der praktischen Umsetzung wird der Bundestag - so meine Prognose - eine allgemeine Impfpflicht verabschieden."
Gregor Gysi ist gegen eine allgemeine Impfpflicht. Die Politik solle hingegen einen Weg finden, Vertrauen wiederherzustellen.
Rixen, der auch im Deutschen Ethikrat sitzt, hält etwa eine "Impfpflicht auf Vorrat" für denkbar. "Sie könnte zum Beispiel im Herbst, sofern dann neue Corona-Wellen kommen und vermutlich auch weiterentwickelte Impfstoffe vorliegen, schnell aktiviert werden", sagt er ZDFheute.
Gleich wann eine Regelung in Kraft tritt, bis dahin müssen auch die praktischen Voraussetzungen für Umsetzung, Kontrolle und Sanktionierung bei Verstoß bestehen. "Allein das Bundesgesetzblatt zu bedrucken, reicht nicht. Die Impfpflicht vollzieht sich ja nicht von selbst", so Rixen.
Kommt ein Impfregister?
Sollte eine allgemeine Impfpflicht kommen, bedeutet das nicht automatisch einen Impfzwang. Menschen würden nicht gegen ihren Willen geimpft. Um solch radikale Schritte geht es bei der aktuellen Debatte nicht.
Auch von einem zentralen Impfregister, in dem der Impfstatus aller Bürger festgehalten wird, rückte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wegen des bürokratischen Aufwands und geäußerten Datenschutzbedenken ab.
Warum wachsen aktuell Bedenken gegen eine Impfpflicht?
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine allgemeine Impfpflicht gab es schon lange. Bestimmte Eigenschaften der Omikron-Variante lassen sie weiter anwachsen.
"Wenn das Impfen nur für zwei, drei Monate helfen sollte, spricht das eher gegen eine Impfpflicht", sagt zum Beispiel Justizminister Marco Buschmann (FDP).
Zwar spreche, wie Professor Stephan Rixen unter Verweis auf das Robert-Koch-Institut betont, nach heutigem Wissensstand einiges dafür, dass insbesondere nach einer Auffrischimpfung mit den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna ein "guter Schutz" bestehe, sagt Rixen.
"Ob angesichts womöglich nur geringer Schutzwirkungen Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das die Entscheidungsfreiheit bei Gesundheitsfragen zusätzlich schützt, verhältnismäßig sind? Da habe ich große Zweifel", merkt auch der Jurist Rixen an.
Ist eine Impfpflicht bei einer endemischen Lage noch notwendig?
Manche Experten gehen inzwischen davon aus, dass die Omikron-Welle das Ende der Pandemie in Deutschland einläuten könnte. Grund ist die hohe Infektiosität dieser Variante bei weniger schweren Krankheitsverläufen, sofern Betroffene geimpft sind.
Tritt die Endemie ein, würden die Coronaviren zwar dauerhaft in der Gesellschaft zirkulieren, aber auf viel niedrigerem Niveau. Das Risiko, dass Ausbrüche das Gesundheitssystem lahmlegen könnten, wäre überschaubar.
"Für die Omikron-Variante wäre die allgemeine Impfpflicht dann nicht mehr relevant", merkt auch Rixen an. Die Impfpflicht dennoch auf Vorrat zu haben, könnte trotzdem sinnvoll sein, um gegen künftige Virusvarianten mit Immunflucht gewappnet zu sein. Sie könnten die Pandemiebekämpfung wieder zurück auf null setzen.
Hätte eine allgemeine Impfpflicht vor Gericht Bestand?
Eine Impfpflicht würde durch ein Parlamentsgesetz geregelt, für die Überprüfung wäre deshalb das Bundesverfassungsgericht zuständig. "Derzeit werden bereits zahlreiche Verfassungsbeschwerden vorbereitet", sagt Rixen. Wie Karlsruhe urteilt, hängt jedoch von der konkreten Ausgestaltung der Impfpflicht ab, die noch nicht bekannt ist.
"Ein Gesetz kann durch eine Eilentscheidung vorläufig angehalten werden, aber das Bundesverfassungsgericht ist da generell eher zurückhaltend", erklärt Rixen. Darauf ausruhen kann sich die Politik nicht. "Ich bin sicher, dass das Bundesverfassungsgericht eine Impfpflicht sehr streng überprüfen wird, am besten schon bei den Eilentscheidungen, denn es stehen wichtige Grundrechte auf dem Spiel."
"Manche politisch Verantwortlichen meinen offenbar, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse ließen sich auf das Thema Impfpflicht ohne Weiteres übertragen", so Rixen. Dort hatte das Gericht dem Gesetzgeber sehr weitgehenden Gestaltungsspielraum zugebilligt. "Das ist aber keine Blankovollmacht für den Gesetzgeber, alles und jedes zu machen."
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