Medienberichte, wonach der Impfstoff von Astrazeneca für Senioren ungeeignet sein soll, sind wohl falsch. Trotzdem bleiben Fragen zur Wirksamkeit.
Unter Hochdruck versucht die Welt die Corona-Pandemie wieder in den Griff zu bekommen und zu beenden. Als wichtigster Schritt auf dem Weg zur Normalität gelten Impfstoffe. Doch bei all dem Hochdruck geraten hin und wieder einige Dinge durcheinander. Aktuelles Beispiel: Der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca soll nicht für Senioren geeignet sein. Stimmt das?
Berichte über geringe Wirksamkeit bei Menschen über 65 wohl falsch
Es war eine bittere Nachricht: Das "Handelsblatt" vermeldete am Dienstag, die Bundesregierung befürchte, dass der Impfstoff von Astrazeneca nur eine Wirksamkeit von acht Prozent bei den über 65-Jährigen haben könnte. Der Schutz vor einer Corona-Infektion wäre also viel zu gering für diese, von der Pandemie besonders bedrohte, Altersgruppe. Auch die "Bild"-Zeitung berichtete darüber und bezog sich auf Regierungskreise.
Der Hersteller Astrazeneca dementierte die Berichte sofort und wies sie als "komplett falsch" zurück. Mittlerweile gab es auch eine Klarstellung aus dem Bundesgesundheitsministerium:
"Auf den ersten Blick scheint es so, dass in den Berichten zwei Dinge verwechselt wurden: Rund acht Prozent der Probanden der Astrazeneca-Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahre, nur drei bis vier Prozent über 70 Jahre. Daraus lässt sich aber nicht eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei Älteren ableiten."
EMA-Bewertung zu Astrazeneca am Freitag erwartet
Das Ministerium wies darauf hin, dass die Wirksamkeitsstudien zu dem Impfstoff aktuell von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ausgewertet werden. Es sei bekannt, dass in den ersten eingereichten Studien von Astrazeneca weniger Ältere beteiligt waren als bei den Studien anderer Hersteller.
Kurz zuvor hatte Gesundheitsminister Spahn im ZDF noch gesagt, er wolle sich an Spekulationen in der Sache nicht beteiligen und auf die Bewertung der EMA warten.
Eine Empfehlung zu dem Astrazeneca-Impfstoff wird am Freitag erwartet. Für die Zulassung ist dann die EU-Kommission zuständig, diese kann dann in wenigen Stunden erfolgen.
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Ärger in Großbritannien über Berichte
In Großbritannien ist der Ärger über die deutschen Medienberichte groß: "Keine Ahnung, wo die Zahl herkommt", zitierte das Online-Portal "Politico" aus Regierungskreisen in London. Ein anderer ranghoher Mitarbeiter des Regierungsapparats nannte die Berichte demnach "unbegründet und falsch", eine dritte Quelle betonte, solche Angaben würde man eher von der russischen Propaganda erwarten als von deutschen Medien.
In Großbritannien wurden bereits mehr als 2,5 Millionen Menschen geimpft - auch mit Impfstoff von Astrazeneca. Das Land hat dazu eine Notzulassung erteilt.
Trotzdem gibt es Unklarheiten bei der Wirksamkeit
Das Mittel von Astrazeneca ist das dritte Vakzin, das in der EU zugelassen werden soll. Bisher gibt es zwei publizierte Studien zu dem Mittel: Eine zeigt einen gleichen Schutz von Älteren und Jüngeren, jedoch bei einer relativ kleinen Fallzahl. Die andere verweist darauf, dass es noch zu wenig Daten bei Älteren gibt, um definitive Aussagen zu machen.
Im Vergleich zu den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna soll das Präparat von Astrazeneca jedoch eine geringere Wirksamkeit haben:
- Bei Biontech/Pfizer liegt die Schutzwirkung in Studien bei 95 Prozent
- Moderna kommt auf eine Schutzwirkung von 94,5 Prozent
- Astrazeneca erreicht 70 Prozent
Astrazeneca behauptet jedoch, die Wirksamkeit könne durch eine andere Dosierung des Impfstoffs gesteigert werden: Würde man den Probanden zunächst nur eine halbe Dosis verabreichen und einen Monat später eine volle Dosis, könne eine Wirksamkeit von 90 Prozent erreicht werden.
Astrazeneca war großer Hoffnungsträger der EU
Die EU hatte große Hoffnung in Astrazeneca gesetzt und bereits im August 300 Millionen Dosen des Impfstoffs gekauft - zuzüglich einer Option auf weitere 100 Millionen Dosen. Da es sich dabei um einen Vektorimpfstoff handelt und nicht um die neuere Technologie der mRNA-Impfungen ist er günstiger in der Herstellung und kann bei normalen Kühlschranktemperaturen (2 bis 8 Grad Celsius) gelagert werden. Das vereinfacht auch die Auslieferung.
Die Ankündigung von Astrazeneca, rund 60 Prozent weniger Impfstoff zu liefern als ursprünglich vertraglich vereinbart, macht aus dem Hoffnungsträger gerade einen Verhandlungsgegner der EU. Sogar Exportverbote für den Impfstoff stehen im Raum.