Ein Blick voraus: Wie könnte das kommende Corona-Jahr, das dritte der Pandemie, aussehen? Experten wie der Stiko-Chef Thomas Mertens blicken positiv Richtung Sommer.
Die vergangenen zwei Pandemie-Jahre haben ausgelaugt. Die lang ersehnten Impfungen retten Leben und vermindern Leid, doch die neuen Varianten, zuletzt Omikron, verbreiten sich noch schneller als das Ursprungsvirus. Wie blicken führende Forschende nun nach vorne, aufs anstehende Corona-Jahr? ZDFheute hat nachgefragt.
Thomas Mertens, Stiko-Chef und Virologe:
"Angesichts der hohen Infektiosität von Omikron ist mit erheblichen Infektionszahlen bei Ungeimpften und Geimpften zu rechnen. Wenngleich Omikron offenbar insgesamt weniger pathogen ist als frühere Varianten, ist es wichtig und sinnvoll, den Individualschutz durch weitere Impfungen und Auffrischimpfungen zu verbessern, vor allem bei Menschen mit hohem Erkrankungsrisiko bei Infektion oder Reinfektion.
Weiterhin muss man durch Verhinderung von Virusübertragungen die Infektionswelle bremsen, damit nicht zu hohe Infektionszahlen entstehen. Zu viele Infektionen (absolut) könnten dazu führen, dass auch bei einem geringeren prozentualen Anteil von Krankenhausaufnahmen bei Omikron die Belastung für das Gesundheitssystem und andere wichtige Versorgungssysteme sehr (zu) hoch wird - durch Erkrankungen und/oder Quarantänemaßnahmen."
Christian Drosten, Virologe Charité:
(am 30.12.2021 im heute journal)
"Ich denke, es wird in Europa und auch in Deutschland so sein, dass wir jetzt vielleicht bis Ostern diese Situation jeweils speziell politisch moderieren müssen. Also jedes Land muss schauen, welche Spezialprobleme es hat, wie die Infektionen verlaufen.
Hier in Deutschland haben wir eben dieses besondere Problem der vielen Ungeimpften. Da muss eine Lösung natürlich her. Wir müssen da sicherlich über die Booster-Kampagne auch gegenhalten.
Dann wird die Temperatur wärmer werden. Wir kommen ins zweite Quartal. Dann wird es auch ein Update der Impfstoffe geben und ich denke, dass jeder Erwachsene sich nochmal ein Update verschaffen sollte - also noch eine weitere Impfung.
Und dann gehen wir in den Sommer und wieder in den Winter. Und im Winter wird sich´s letztendlich wirklich zeigen.
Vielleicht wie in einem normalen schweren Influenza-Winter, wo wir natürlich die Alten und Gefährdeten nochmal boostern müssen, damit die gut über die Zeit kommen.
Während vielleicht die gesunden Erwachsenen gar keine Booster-Impfung mehr brauchen, das ist durchaus im Bereich des Möglichen. Und wir dann uns einigermaßen bewegen können. Vielleicht muss man noch Maske tragen in bestimmten größeren Situationen, in Innenräumen, das will ich jetzt nicht ausschließen."
Das vollständige Interview mit Christian Drosten sehen Sie hier:
Fred Zepp, Kinderarzt und Stiko-Mitglied:
"Die Omikron-Variante scheint meist Infektionen mit geringen bis milden Krankheitssymptomen hervorzurufen. Dies gilt auch für Kinder und Jugendliche. Eine Ausnahme beobachten wir möglicherweise in den USA, wo wir aber in der gesamten Pandemie eine ungewöhnlich hohe Krankheitslast bei Kindern und Jugendlichen beobachten.
Wahrscheinlich werden wir dieses Jahr also durch Omikron eine nochmalige Steigerung der Infektionsinzidenzen mit jedoch anschließend eher milden Krankheitsverläufen haben.
Zum einen ist das Virus zumindest in geringem Maße temperatursensitiv, und wir werden uns wieder vermehrt in der freien Natur aufhalten. Zum anderen werden wir dann hoffentlich mehr als 85 bis 90 Prozent der Menschen geimpft haben. Jeder Geimpfte hat damit in jedem Fall eine Teilimmunität, die hilft, eine anschließende Infektion mit dem Wildvirus besser zu überstehen.
Wahrscheinlich werden wir alle, also auch die Geimpften, uns irgendwann mit einer der Virusvarianten auseinandersetzen müssen, insbesondere dann, wenn das Virus endemisch geworden ist. Diese vorsichtige Prognose kann natürlich durch das Auftreten neuer Virusvarianten mit anderen Eigenschaften beeinflusst werden.
Aber ich erwarte, dass bei steigender Immunität in der Bevölkerung (durch Impfung und/oder Infektion) die klinischen Verläufe von Covid-19 milder werden und wir dann vor allem nur noch besonders gefährdete Menschen (Alte, chronische Kranke) vor Komplikationen schützen müssen - ähnlich wie bei der Influenza.
Jördis Frommhold, Long-Covid-Spezialistin und Chefärztin für Atemwegserkrankungen:
Wie viele Menschen dieses Jahr an Long Covid erkranken werden, lässt sich schwer sagen. Denn wir wissen noch nicht, wie sich Long Covid bei Omikron verhält.
In den zwei Pandemie-Jahren habe ich über 3.000 Long-Covid-Patienten behandelt. Zu zwei Dritteln sind es Frauen, zu einem Drittel Männer. Oft sind es Leistungsträger und eigentlich fitte Menschen zwischen 20 und 50 Jahren. Auch Menschen mit mildem Verlauf können Long Covid bekommen.
Die gute Nachricht: Unter meinen 3.000 Patienten waren zwar auch Menschen mit einer Impfung, die also eine Durchbruchsinfektion hatten. Sie waren aber in der Minderheit, die allermeisten waren nicht geimpft.