Vor dem Virus sind nicht alle gleich. Das Beispiel Bangladesch zeigt, wie dort nicht nur Corona die Menschen bedroht. Armut und Hunger sind für viele die größere Gefahr.
Während in vielen Ländern des Westens staatliche Hilfsmaßnahmen die Folgen der Corona-Krise abmildern, müssen Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern selbst sehen, wie sie in der Pandemie überleben.
Die Näherin Sharmin Akter Maleka lebt in Gazipur, einer Textilstadt vor den Toren von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Seit dem Frühjahr muss die 35-jährige alleinerziehende Mutter sich und ihre drei kleinen Söhne unter erschwerten Bedingungen und ohne staatliche Hilfe über die Runden bringen.
Corona stürzt tiefer in Armut
Bis zum April 2020 war sie Arbeiterin in einer Textilfabrik und verdiente umgerechnet rund 125 US-Dollar im Monat. Für sie bedeutete Globalisierung - trotz all der damit verbundenen Ungerechtigkeit - stabile Lebensverhältnisse.
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Für westliche Mode-Labels ist die Produktion in Billiglohnländern ein profitables Geschäft. Sie lassen in Bangladesch zu Niedriglöhnen nähen und können so riesige Mengen Kleidung zu Dumping-Preisen in westlichen Ländern vermarkten. Allein 2018 machte das Textilgeschäft nach Angaben der Harvard Universität 84 Prozent der Exporte des Landes aus.
Als die Coronakrise kam, kamen für westliche Modeunternehmen Absatzprobleme. Und für Bangladeschs Textilhersteller Stornierungen mit einem gigantischen Volumen von drei Milliarden Dollar. Die Leidtragenden sind die Arbeiter in den Fabriken.
Als Corona im März die westliche Bekleidungsindustrie einbrechen ließ, stornierten viele Firmen ihre Bestellungen, Fabriken in Bangladesch mussten schließen, Hunderttausende Arbeiterinnen wurden entlassen. Ohne staatliche Unterstützung standen sie vor dem Nichts. Sharmin Akter Maleka ist verzweifelt. Heute hält sie sich und ihre Kinder als Putzkraft notdürftig über Wasser.
Kalpona Maleka, Geschäftsführerin des Bangladesh Center for Workers‘ Solidarity (BCWS), sieht nicht nur Regierung und Fabrikbesitzer in der Pflicht. Westliche Modelabels hätten sich in dieser Krise völlig rücksichtslos verhalten. Sie seien "einfach abgehauen (…). Ihre Geschäftspartner hier waren ihnen egal. Genauso wie die Arbeiter, die seit Jahren für sie die Profite machen."
Mit einmaligen Hilfszahlungen haben einzelne Firmen versucht, zu helfen. H&M zahlte 1,3 Millionen Dollar in einen Hilfsfonds für arbeitslose Näherinnen. Doch das sei nur Tropfen auf den heißen Stein, bemängeln Kritiker. Sie forderten schon vor Corona, das westliche Unternehmen mehr Verantwortung für ihre Zulieferfirmen im Ausland übernehmen müssten.
Lieferkettengesetz würde Aufraggeber haftbar machen
Das Lieferkettengesetz, für das sich Politiker*innen in Deutschland stark machen, soll Auftraggeber im Westen für die Arbeitsbedingungen am anderen Ende der Lieferkette haftbar machen. Das Gesetz würde Firmen verpflichten, die Einhaltung menschenwürdiger Standards bei ihren Zulieferern zu prüfen und durchzusetzen.
Initiative Lieferketten setzt sich dafür ein, dass Unternehmen dazu verpflichtet werden, in ihren Lieferketten auf Menschenrechte und Umweltschutz zu achten.
Einige deutsche Firmen begrüßen das Vorhaben, kümmern sich bereits freiwillig um die Einhaltung von Sozialstandards in ihren Zuliefererbetrieben in Asien und Afrika. Die großen Wirtschaftsverbände BDI und BDA jedoch halten ein solches Gesetz für realitätsfern und wollen es verhindern. Besonders die geplante Haftungspflicht sehen sie kritisch.
Sascha Raabe, entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag und Verfechter des Gesetzesvorhabens verlangt, dass der Auftraggeber "mit Augenmaß und einem zumutbaren Aufwand" prüfen soll, ob die Arbeitsbedingungen in Ordnung seien.
Corona macht soziale Ungerechtigkeiten offensichtlicher
Corona hat die Ungerechtigkeit der internationalen Arbeitsteilung wie unter einem Brennglas gezeigt. Sangheon Lee von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO fordert Solidarität. "In Deutschland zum Beispiel hat die Regierung sofort hunderte Milliarden Dollar mobilisiert, um Firmen zu stützen und Arbeitern zu helfen. Aber in Entwicklungsländern haben Regierungen dafür nicht die finanziellen Mittel."
Die Pandemie könnte ein Weckruf sein, hoffen Experten. Und im Idealfall dazu führen, dass die Globalisierung nicht nur Wohlstand für wenige, sondern ein besseres Leben für alle bedeutet.
Mehr als 90 Prozent unserer Kleidung stammen aus Asien, besonders aus China, Bangladesch und Indien: Billiglohnländer, in denen Arbeits- und Umweltschutz meist nur auf dem Papier stehen.