Die USA impfen täglich Millionen Menschen. Doch nicht alle machen mit. Impfgegner*innen auf dem Land, wie in Greeneville, Tennessee, wollen sich von Joe Biden nichts sagen lassen.
Walt Cross bietet gegen jedes Leiden einen Kräutertee an. Auch als eine Frau, etwa Ende 40, seinen Laden betritt. Es ist Freitagnachmittag, Cross‘ Kräuter- und Lebensmittelgeschäft leert sich gerade. Einmachgläser voller getrockneter Kräuter stehen neben pflanzlichen Medikamenten und glutenfreien Lebensmitteln. Dazwischen Bücher, die Heilung durch Gott versprechen.
"Walt, ich brauche deinen Rat", sagt die Kundin. Offenbar kommt sie häufiger. Sie leide unter Atemnot, vor allem in der Nacht. Es fühle sich an, als sitze ein Elefant auf ihrer Brust. Cross hört zu, nickt. Er empfiehlt kleinblütiges Wollkraut, aufgegossen mit heißem Wasser vor dem Schlafengehen. Dass Atemnot ein Corona-Symptom sein könnte - das erwähnt Cross nicht.
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Rat bei Gott statt bei der Wissenschaft?
In Greeneville und Umgebung schätzen viele seinen Rat. Cross hat eigenen Angaben zufolge 20 Jahre in der konventionellen Medizin gearbeitet. Was das genau bedeutet, verrät er nicht. Inzwischen lehnt er konventionelle Arznei ab, auch die Corona-Impfung. Obwohl sein Vater infolge einer Corona-Infektion gestorben ist. Er findet sowieso, US-Präsident Joe Biden kontrolliere zu viel. Was er seinen Kund*innen rät, wenn sie nach der Impfung fragen?
Tennessee ist Teil des sogenannten Bible Belt - der Region, die sich über viele Südstaaten erstreckt und in der die Menschen besonders gläubig sind. In Greeneville gibt es etwa 100 Kirchen - für 15.000 Einwohner*innen. 95 Prozent von ihnen sind weiß. Bei der Präsidentschaftswahl haben 79 Prozent Donald Trump gewählt.
Im republikanischen, tief religiösen Süden der USA gibt es viele Impfskeptiker. Impfen oder nicht - diese Frage spaltet auch die Gemeinde Greeneville.
Niedrige Impfquoten auf dem Land
Geimpft gegen Corona mit mindestens einer Dosis sind hier erst 32 Prozent der Erwachsenen - im Vergleich zu 58 Prozent in den gesamten USA.
Dass dieser Trend weit über Greeneville hinaus reicht, zeigen die Zahlen der Kaiser Family Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die sich auf gesundheitspolitische Themen spezialisiert. In der Stadt sind 66 Prozent bereits geimpft oder wollen sich so schnell wie möglich impfen lassen. In ländlichen Regionen sind nur 55 Prozent überzeugt. Alle anderen sind entweder strikt dagegen oder wollen abwarten.
Bidens Ziel: 70 Prozent bis 4. Juli
Sie sind es, die Bidens Impfkampagne zum Wanken bringen könnten. Dieser hat gerade erst sein neuestes Ziel verkündet. Bis zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli sollen 70 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner*innen mindestens die erste Dosis bekommen haben. Biden steuert die US-Amerikaner*innen Richtung Herdenimmunität.
Impfstoff gibt es genug in Greeneville. Doch in Corley’s Pharmacy, einer der wenigen Apotheken im Ort, warten sie vergeblich auf Kundschaft. 240 Dosen Moderna lagern im Kühlschrank.
erzählt Apothekerin Arissa Cupp. "Wir haben diese Woche nur 20 Impfungen verabreicht". Häufig telefoniert sie Kund*innen ab, um den Impfstoff loszuwerden, den sie sonst wegwerfen müsste.
Arzt: "Stolze Leute in Greeneville"
Theo Hensley kennt die Menschen in Greeneville besser als kaum jemand sonst. Der 34-Jährige ist hier geboren und hat sein ganzes Leben hier verbracht. Seit fünf Jahren ist er Arzt in der Greeneville Internal Medicine & Family Practice.
Glaube, Stolz und die Freiheit, selbst entscheiden zu können - Hensley versteht all das. Aber er hat auch erlebt, was das Coronavirus anrichten kann. Das Krankenhaus war immer wieder überlastet. Seine Frau litt lange unter den Folgen ihrer Covid-19-Erkrankung. Seitdem versucht er aufzuklären, in der Klinik und im Netz. Auf seinem Facebook-Kanal streamt er regelmäßig live, beantwortet Fragen, wird nicht müde, auf die Sorgen und Vorurteile seiner Follower*innen einzugehen.
Aber eine 70-prozentige Impfquote bis zum 4. Juli? "Das wird ziemlich ambitioniert hier in Greeneville."
Der Autorin auf Twitter folgen: @ninaniebergall
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