Kräftiger Gegenwind für Noch-Gesundheitsminister Spahn. Mit seiner Empfehlung für eine Corona-Booster-Impfung für alle hat er Ärzte verärgert. Sie wollen seine Ratschläge nicht.
Anrufe von Menschen unter 70, die eine dritte Corona-Impfung bekommen wollen, lange Diskussionen in den Praxen, die den Betrieb aufhalten: So schildert Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, derzeit den Alltag in deutschen Praxen. Schuld daran sei "die Politik", die einen "künstlichen Bedarf" erzeugt habe.
"Wir brauchen Ruhe im System", sagte Scherer am Dienstag vor Journalisten. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, beschrieb es so:
"Booster für alle macht keinen Sinn"
Klar, wer gemeint ist: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der, solange es noch keine neue Bundesregierung gibt, weiter im Amt ist. Er hatte empfohlen, die Impfzentren wieder zu öffnen, damit möglichst alle schnell eine Booster-Impfung bekommen können. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte dagegen zuvor entschieden, dass zuerst über 70-Jährige und Vorerkrankte an die Reihe kommen, danach werde weiter geprüft.
Um das Tempo bei den Auffrischungsimpfungen zu erhöhen, sollten die Impfzentren reaktiviert werden - die Forderung von Gesundheitsminister Spahn stößt auf Kritik.
Auch in der Beschlussvorlage für die Gesundheitsministerkonferenz der Länder am Freitag bleibt Spahn dabei. Er schlägt darin nach Angaben seines Ministeriums vor, dass "Auffrischimpfungen grundsätzlich allen Personen angeboten werden, die diese nach Ablauf von sechs Monaten nach Abschluss der ersten Impfserie wünschen".
"Bauchevidenz" nennt Gassen diese Forderung nach Booster für alle. Entweder die Politik mache klare Vorgaben und entscheide sich beispielsweise für eine Impfpflicht, um die Infektionszahlen zu senken. Oder man halte sich an die medizinischen Vorgaben der Ständigen Impfkommission. "Booster-Impfungen für alle zu empfehlen, macht keinen Sinn", so Gassen.
Stiko: Impfdurchbrüche nicht überraschend
Stiko-Chef Thomas Mertens sagte, es müssten jetzt diejenigen eine Auffrischung bekommen, die Probleme mit ihrem Immunsystem haben und nur einmal mit dem Stoff von Johnsen und Johnsen geimpft wurden. Eben weil diese bei einer Infektion schwer erkranken könnten.
Außerdem müssten die rund 30 Prozent der 18- bis 59-Jährigen, die bislang ohne Impfschutz sind, geimpft werden. Wer im mittleren Alter zweimal geimpft sei, sei zwar nicht vor Infektion, aber vor einer schweren Erkrankung gut geschützt, so Mertens.
Dass es zu Impfdurchbrüchen kommt, sei klar gewesen. "Man soll nicht so tun, als habe man das nicht gewusst", so Mertens. Die Höhe "entspricht dem, was wir erwartet haben".
KBV: Impfzentren nicht entscheidend
Bis Ende des Jahres sollen 15 Millionen Menschen eine Auffrischungsimpfung bekommen. "Dafür brauchen wir einen klaren Fahrplan und verlässliche Angaben“, sagte Stephan Hofmeister, Vize-Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
Beispielsweise sei die neue Bestellfrist für Impfstoff mit 14 Tagen viel zu lang. Hätten Praxen kleinere Impfdosen, müssten sie weniger aufwändig die Patienten einbestellen. Gebe es eine abgespecktere Dokumentationspflicht, würde der Bürokratieberg kleiner.
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Genau deswegen, so Hofmeister, hielten sich Praxen derzeit noch zurück, Booster-Impfungen anzubieten. Gebe es klare Vorgaben von der Politik, "werden wir ausreichend Praxen haben, die impfen".
Entscheidend sei dabei aber auch, dass die Länder die Impfberechtigten einladen und sich nicht jeder selbst Praxen abtelefonieren müssen. Wie in Berlin zum Beispiel, wo jede und jeder angeschrieben werde. Es sei "nicht entscheidend", so Gassen, ob es wieder Impfzentren gebe, sondern ob durch ein Einladungssystem "mehr Geschwindigkeit" beim Impfen erzeugt werden. "Die Praxen können das leisten."
Neue Sorge um Alten- und Pflegeheime
Dabei geht es den Ärztevertretern vor allem um die Alten- und Pflegeheime. Allgemeinmediziner-Präsident Scherer sagte:
Damals fehlten vor allem Corona-Tests in den Alten- und Pflegeheimen, so dass Besuch monatelang nicht kommen durfte.
Laut Stiko-Chef Mertens wäre es sinnvoll, ungeimpftes medizinisches Personal wegen der Übertragungsgefahr nicht mehr direkt an den Patienten arbeiten zu lassen. Ob es eine Impfpflicht, generell oder für medizinisches Personal, geben soll, ließ sich Mertens offen: "Das ist Sache der Politik."
Am Mittwoch könnte es die nächste Runde im Booster-Streit geben. Dann äußert sich Minister Spahn vor der Presse.
Meist dauert die Entwicklung eines Impfstoffs länger als zehn Jahre. Der Film widmet sich dem rasanten Wettlauf zwischen BioNTech und CureVac um ein Vakzin gegen COVID-19.