Mit jeder Debatte im Deutschen Bundestag über die Pandemiebekämpfung kommt der Vorwurf hoch, die Bundesregierung würde das Parlament systematisch ausbremsen. Ist das eigentlich so?
Als Christian Lindner, Chef der FDP und deren Fraktionsvorsitzender, am 11. Februar nach der Regierungserklärung der Kanzlerin ans Rednerpult des Bundestages tritt, bezieht sich seine Kritik an der Bundesregierung in großen Teilen auf den Umgang mit dem Parlament.
Mahnungen von Seiten der FDP
Wesentliches der Beschlüsse von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten vom Vortag würde man ja schon kennen, hätte sogar zum "Download im Internet" zur Verfügung gestanden, so sein Vorwurf Richtung Angela Merkel.
FDP-Chef Christian Lindner hat Bundeskanzlerin Merkel scharf kritisiert. Der Bundestag habe die Beschlüsse des Corona-Gipfels aus den Medien erfahren. Das dürfe nicht sein.
Wie vor den Europäischen Gipfeln könne die Kanzlerin doch auch vor den MPK’s im Bundestag berichten: "Das hätte die Möglichkeit geboten, dass Sie Ihre Maßnahmenvorschläge darstellen. Es hätte die Chance eröffnet, auch die wissenschaftlichen Grundlagen zu hinterfragen. Und es wäre vor allen Dingen darum gegangen, alternative Strategien hier in die Debatte einzubringen."
Corona: Dauerthema in Debatten im Bundestag
Aber ist der Vorwurf eigentlich berechtigt? Rund 80-mal ist - nach Zählung der Regierungsfraktion - in den Monaten der Pandemie genau über diese im Bundestag debattiert worden.
In großen und kleinen Debatten, nach Regierungserklärungen, nach Gesetzesinitiativen, in aktuellen Stunden, in Fragestunden. Die Regierung hat ihren Kurs verteidigt, die Opposition hat ihn kritisiert.
- Aus Fehlern lernen - oder auch nicht
Wenige Stunden sind die Corona-Beschlüsse alt, da muss sie Kanzlerin Merkel im Bundestag verteidigen. Die Opposition findet vieles falsch. Noch ist keine Zeit fürs Verzeihen.
Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken, sagte in einer Debatte im November 2020:
Und weiter: "Alles andere ist demokratieschädigend, ist inakzeptabel und reduziert das Vertrauen der Bevölkerung in die Akzeptanz der Maßnahme."
Hat er Recht? Oder liegt sogar die AfD-Fraktionsvorsitzende richtig, die die Ministerpräsidentenkonferenz immer wieder als "Kungelrunde im Hinterzimmer" bezeichnet. Das Parlament jedoch, so Alice Weidel, dürfe allenfalls "ein wenig darüber debattieren". Entscheiden dürfe man aber nicht.
Oppositionm im Parlament: Zum Kritisieren verdammt
Tatsächlich aber muss man wohl trennen zwischen Debatten und Entscheidungen. Bei den Debatten hat die Opposition einen Punkt - was die Zeitpunkte angeht.
Die Regierungserklärungen von Angela Merkel fanden alle nach den Runden mit den Ministerpräsidenten statt. Die Entscheidungen waren gefallen, vorbereitet zwischen den Staatskanzleien der Länder und dem Bundeskanzleramt.
Manche Massnahmen wurden schnell und im Konsens gefällt, manche waren hart umstritten. Die Opposition war zum nachträglichen Kritisieren verdammt.
Infektionsschutzgesetz: Keine operative Rolle für Bundestag
Aber tatsächlich ist es so, dass dem Bundestag keine operative Rolle zufällt - nicht weil die Bundesregierung ihm diese Rolle verweigert, sondern weil das Infektionsschutzgesetz ihm diese Rolle nicht zuweist.
Und dieses Gesetz hat der Bundestag mit der Mehrheit von CDU/CSU, SPD und Grünen zuletzt am 18. November 2020 geändert und beschlossen.
Damit wurde unter anderem die grundsätzliche pandemische Lage festgestellt. Das bedeutet auch, dass den Bundesländern die Rolle zufällt, die notwendigen Maßnahmen zu beschliessen, zu koordinieren und umzusetzen. Genau das, was in den oft quälenden Runden der Ministerpräsidenten passiert.
Rolle der Nicht-Regierungsparteien in der Demokratie
Die Klage der Opposition, dass das Parlament missachtet wird, fußt also mehr auf der politischen Einflusslosigkeit, die ihrer Rolle als Nicht-Regierungsparteien ganz eigen ist.
Ralph Brinkhaus, Chef der Unionsfraktion hat es schon im Oktober im Parlament in Richtung Opposition so ausgedrückt:
Zumindest der Grundgedanke dieses Satzes ist in der parlamentarischen Demokratie so wahr, wie frustrierend - je nachdem auf welcher Seite man sich befindet: Beschlossen wird mit Mehrheit. Wohl auch deshalb hat es keine der zahlreichen politischen Initiativen, etwa der 7-Stufen-Öffnungsplan, den die FDP in den Bundestag eingebracht hat, in die politische Praxis geschafft.
Mathis Feldhoff ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin
- Was Merkel und die Ministerpräsidenten dürfen
Immer wieder wird die Kritik laut: Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsident*innen regieren in der Pandemie durch - dürfen sie das? Fragen und Antworten zur Rechtslage.