Dr. Camilla Rothe hat den ersten Abstrich bei einem deutschen Corona-Patienten gemacht. Ihre Warnungen wurden zunächst ignoriert. Ein Jahr später machen ihr Impfstoffe Mut.
Vor einem Jahr infizierte sich ein Mitarbeiter der bayerischen Firma Webasto bei einer Kollegin aus China mit dem Coronavirus: Der erste Corona-Verdachtsfall in Deutschland. Getestet hat ihn damals Tropenmedizinerin Dr. Camilla Rothe in München.
ZDFheute: Warum haben Sie damals die Alarmglocken geläutet?
Dr. Camilla Rothe: Was mich alarmiert hat war, dass diese Kollegin aus China, die die Firma besucht hatte, laut Angaben der Mitarbeiter völlig unauffällig war. Sie hatte keinen Husten. Sie hatte keinen Schnupfen. Sie war nicht heiser gewesen.
Sie hatte also keinerlei Krankheitssymptome gezeigt und war offensichtlich ohne Probleme um die halbe Welt gereist, hatte intensive Business-Workshops abgehalten und dabei mehrere Mitarbeiter angesteckt. Außerdem haben wir erfahren, dass die Frau selbst sich in München gefühlt hatte wie immer. Erst nach ihrer Rückkehr nach China bekam sie Fieber und Husten.
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ZDFheute: Sie haben sich dann gleich hingesetzt und einen Artikel für eine medizinische Fachzeitschrift geschrieben, der schon drei Tage später erschien. Warum so schnell?
Rothe: Ich wollte meine Kollegen aus aller Welt warnen: 'Zieht euch bloß Schutzkleidung an! Das neue Virus verhält sich nicht wie das alte Sars-Virus!' Das Alarmierende war, dass die Infektion auch ohne Symptome übertragen werden kann. Es waren aber auch gute Nachrichten dabei: Man wird nicht notwendigerweise schwer krank.
Was wiederum alarmiert hat, ist, dass man eben unbeeinträchtigt um die halbe Welt reisen kann. Da war also klar in unserer globalisierten, vernetzten Welt, wie schnell so ein Virus in alle Ecken der Welt ankommt, was wir heute ja dann auch sehen.
Die ersten Corona-Patienten in Deutschland infizieren sich beim Automobilzulieferer Webasto - der Beginn einer beispiellosen Krise.
ZDFheute: Ihre Kollegen haben Ihnen sofort geglaubt - das RKI und die WHO dagegen haben Ihre Beobachtung sogar angezweifelt. Was ist da passiert?
Rothe: Darauf kann ich persönlich keine gute Antwort geben. Es war natürlich eine unbequeme Neuigkeit. Das war etwas, was diese Infektionen ungleich viel schwerer zu handhaben macht - auch für Entscheidungsträger. Das heißt, Sie müssen im Prinzip jeden unter Verdacht stellen und mit Masken versehen und die Konsequenzen ziehen, die wir jetzt haben.
Warum es dennoch so lange gedauert hat, kann ich nicht beantworten.
ZDFheute: Sind Sie dennoch stolz darauf, die Welt gewarnt zu haben?
Rothe: Das ist unsere Aufgabe als Tropenmediziner: Eine Art Wachhund zu sein für die Gesundheit unserer Bevölkerung. Wir haben viel zu tun mit importierten Infektionen und mit Erkrankungen, die keiner kennt. Unsere Aufgabe ist es dann, diese Sache einzuordnen und eben auch möglichst unverzüglich, ohne Verzögerung.
- Wie das Virus zu uns kam
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ZDFheute: Die strengen Hygienemaßnahmen, die Sie empfohlen haben, wären vor einem Jahr, als Corona weit weg in China war, wohl kaum durchzusetzen gewesen…
Rothe: Das ist gut möglich. Wir sehen ja bis heute die Diskussion um die Einschränkung unserer Lebensgewohnheiten. Vielen Menschen gefällt es nicht, Masken zu tragen. Jetzt auch noch immer komplexere medizinische Masken, man fühlt sich in seinen Grundrechten eingeschränkt. Und das ist natürlich auch ein Stück weit zu verstehen.
Denn vielleicht ist es dem Durchschnittsbürger, der nicht so im medizinischen Geschehen steht wie wir, die wir Menschen sterben sehen, einfach schwerer nahezubringen, was es bedeutet, wenn man sich diesbezüglich falsch verhält. Aber das Gute ist: Jeder kann einfach mitmachen. Ich denke, so eine Maske zu tragen ist zumutbar.
ZDFheute: Aber mit der Impfung kann das normale Leben zurückkommen?Rothe: Die Impfung ist ein großer Lichtblick, und es ist auch eine wahnsinnige Leistung.
Jeder, der sich mit Impfstoffentwicklung befasst, weiß, dass das Jahre dauert, manchmal Jahrzehnte. Und die Impfstoff-Technologie, die wir jetzt haben, macht auch sehr viel Hoffnung zur Bekämpfung anderer Erkrankungen. Die mRNA-Impfstoffe aber lassen sich recht einfach in großen Mengen herstellen. Und wenn es gelingt, diese Technologie auch an andere Krankheitserreger anzupassen, dann wäre das ein riesiger Fortschritt.
Das Interview führte Patricia Schäfer, Korrespondentin im ZDF-Studio Bayern.
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