Seit 1. Februar hat Dänemark sämtliche Corona-Regeln aufgehoben - trotz weiterhin hoher Infektionszahlen. Warum das gut funktioniert, erklärt Professor Petersen im ZDF-Gespräch.
[Sehen Sie das komplette Interview oben im Video]
ZDFheute: Professor Petersen, Sie beraten die dänische Regierung in der Corona-Pandemie. Warum konnte Dänemark alle Corona-Maßnahmen aufheben?
Michael Bang Petersen: Was in der dänischen Epidemie geschehen ist, ist eine Abkopplung; zwischen der Infektionsrate und der Hospitalisierungsrate, vor allem der Hospitalisierungsrate von schwer erkrankten Personen, die dann auf die Intensivstation müssen. Also selbst, wenn wir eine hohe Infektionsrate hatten oder noch haben, gibt es keinen Druck auf die Krankenhäuser.
Wenn wir uns das Gesetz ansehen, das hier in Dänemark den Umgang mit der Epidemie regelt, so fordert es, dass es eine Bedrohung der kritischen Infrastruktur der Gesellschaft geben muss, bevor man Restriktionen veranlassen kann. Und die Erkenntnis war nun, dass das nicht mehr der Fall ist. Deshalb wurden die Restriktionen aufgehoben.
ZDFheute: In Deutschland heißt es oft, dass man die Corona-Einschränkungen nicht aufheben könne, weil die Impfquote viel niedriger sei als in Dänemark. Stimmt dieses Argument?
Petersen: Deutschland hat auch eine relativ hohe Impfquote. Sie ist nicht so hoch wie in Dänemark. Und das ist natürlich wichtig, besonders, wie viele der älteren Menschen geimpft sind, die ja die größte Risikogruppe sind. Aber es gibt auch einen anderen Punkt:
Seit Langem gibt es die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Man hat gemacht, was man konnte und alle informiert. Also, es kommt der Zeitpunkt, an dem man auch sagen muss: Jeder hat die Wahlfreiheit, ob man geimpft werden möchte oder nicht. Jedenfalls dann, wenn man dem Prinzip der Freiwilligkeit folgt.
-
ZDFheute: Was halten Sie persönlich von Lockdowns? Waren sie ein Erfolg?
Petersen: Generell bin ich der Meinung, dass nach der existierenden Datenlage es so aussieht, dass Lockdowns wirken. Sie wirken in einer Situation, in der die Infektionskurve steigt, in der du gezwungen bist, die Aktivität der Gesellschaft sehr, sehr schnell zu verringern. Dann funktionieren Lockdowns sehr gut. Einerseits, weil sie direkte Konsequenzen für die Aktivität der Gesellschaft haben und andererseits, weil sie ein sehr, sehr starkes Zeichen für die Bevölkerung sind, dass es jetzt ernst ist.
ZDFheute: Warum gab es so gut wie keine Kritik der dänischen Bevölkerung an der Regierung?
Petersen: Wenn wir uns die Zahlen ansehen, die wir gesammelt haben, so gibt es ein sehr, sehr hohes Vertrauen in die dänischen Gesundheitsbehörden. Zwischen 90 und 95 Prozent sagen, sie hätten Vertrauen in die dänischen Gesundheitsbehörden. Und das haben sie im März 2020 gesagt, und das sagen sie jetzt im Februar 2022. Was dieses Vertrauen bedeutet, kann man fast überhaupt nicht hoch genug einschätzen.
ZDFheute: Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach das Prinzip der Freiwilligkeit anstatt verpflichtender Maßnahmen?
Petersen: Das, was wir aus unseren Forschungsarbeiten während der Epidemie sehen können, ist, dass die Menschen, wenn sie Zwang ausgesetzt werden, wenn sie Druck ausgesetzt werden, ein Gefühl der Brandmarkung entwickeln, ein Gefühl des Kontrollverlusts. Und diese Gefühle führen dazu, der Regierung zu misstrauen, der Bewältigung der Endemie zu misstrauen, an Verschwörungstheorien zu glauben, öffentliche Proteste zu unterstützen.
Das kann teuer werden. Also, es ist wirklich ziemlich wichtig, dass man die ganze Zeit über, besonders, wenn man Zwang ausübt, den Rückhalt der Bevölkerung hat. Die Bevölkerung muss der Meinung sein, dass es sich um gerechtfertigten Zwang handelt.
ZDFheute: Die Öffnung Dänemarks war am 1. Februar. Können Sie eine erste Bilanz ziehen?
Petersen: Ja. Wir haben die Einschränkungen aufgehoben. Und Corona ist bei uns keine die Gesellschaft bedrohende Krankheit mehr. Das hat natürlich die Epidemie nicht beendet. Wir haben immer noch eine hohe Infektionsrate, und auf diese Tatsache muss nun individuell reagiert werden.
Es gibt wirklich viele, die Kontakt zu Infizierten haben, und es gibt wirklich viele, die sich infizieren. Aber die Gesellschaft hat entschieden: Nun ist das keine gesellschaftskritische Bedrohung mehr, aber es bleibt natürlich noch eine Bedrohung für die Menschen aus Risikogruppen. Und die sollten die Verhaltensregeln weiter befolgen.
ZDFheute: Haben Sie einen Vorschlag für die deutsche Regierung und die deutsche Bevölkerung, was die Zukunft angeht?
Petersen: Wenn wir auf unsere Forschungsergebnisse schauen, dann glaube ich, dass einer der wichtigsten Ratschläge, den ich hätte, der wäre, dass wir uns sehr über das Thema 'Vertrauen' unterhalten müssen. Da reden wir oft über das Vertrauen der Bürger in Behörden und Regierung.
Offen kommunizieren, die schwierige Lage ehrlich darstellen. Schwierigkeiten öffentlich machen, unangenehme Dinge benennen, Unsicherheiten offen ansprechen. All das schafft das Vertrauen in Regierung und Behörden. Das macht mündige Bürger oder wie man im Englischen sagt: 'Empowerment schaffen'. Die Bevölkerung in Stand setzen, selbst mit den Herausforderungen klarzukommen, die ihr begegnen. Noch einmal: offene, klare Kommunikation. Das ist das Entscheidende.
ZDFheute: Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Heike Kruse vom ZDF Landesstudio Schleswig-Holstein.
Wäre die dänische Vorgehensweise ein Vorbild für Deutschland? Erfahren Sie es im Video: