Ein UN-Menschenrechtsexperte hat der deutschen Polizei vorgeworfen, während Corona-Demos zu hart vorgegangen zu sein. Die Reaktion der Politik darauf sei "Systemversagen".
In Deutschland gibt es beim Umgang mit Polizeigewalt nach Auffassung eines UN-Menschenrechtsexperten "Systemversagen". Dieses Fazit zieht der bisherige UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Nils Melzer, aus seinem Austausch mit der Bundesregierung, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte.
Zuvor hatte "Die Welt" darüber berichtet. Melzer war im Sommer 2021 wegen mehrerer Videos, die offenbar Polizeigewalt bei Berliner Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen zeigten, aufgeschreckt worden. Er äußerte Sorge darüber und bat die Bundesregierung um eine Stellungnahme.
Eine Demo gegen die Corona-Politik in Berlin konnte IM November 2020: Wasserwerfer kommen zum Einsatz. Erst Stunden später konnte der Platz geräumt werden.
Bundesregierung: Verhalten der Polizei nicht zu beanstanden
"Ich fand die Reaktion der Regierung bedenklich", sagte er jetzt. Nach Auffassung der Bundesregierung sei es verhältnismäßig gewesen, dass Polizisten beispielsweise einen nicht aggressiven Demonstranten vom Fahrrad stießen und auf den Boden warfen.
Er habe die Bundesregierung um eine Statistik gebeten, wie viele Polizisten wegen unverhältnismäßiger Gewalt belangt werden, sagte Melzer. Die Antwort sei gewesen: in zwei Jahren sei es ein einziger gewesen, und in mehreren Bundesländern gebe es gar keine Statistiken.
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Experte: Verfahren gegen Polizei werden verschleppt
"Das ist kein Zeichen von Wohlverhalten, sondern von Systemversagen", sagte Melzer. "Die Behörden sehen gar nicht, wie blind sie sind." Während Demonstranten teils in Schnellverfahren abgeurteilt würden, würden Verfahren gegen Polizisten eingestellt oder verschleppt, "bis niemand mehr hinschaut".
Sein Fazit:
Arroganz sei gefährlich, sagte Melzer: "Das zerstört das Vertrauen der Bürger in die Polizei." Melzer hat seine abschließende Einschätzung am 28. März nach Berlin geschickt.
Es dauert 60 Tage, bis das UN-Büro für Menschenrechte sie veröffentlicht. Melzer ist wegen einer Berufung in das Direktorium des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Ende März von seinem UN-Amt zurückgetreten. Der Dialog mit Berlin sei damit abgeschlossen, sagte Melzer. Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger wird im Juni gewählt und dürfte sich anderen Themen widmen.