Die Politik denkt über weitere Reisebeschränkungen nach. Der Innenminister schlägt vor, den Flugverkehr "auf nahezu Null" zu bringen. Könnte der Staat das Reisen verbieten?
Verschärfte Grenzkontrollen, Testpflicht vor der Einreise aus fast 30 Ländern - solche und andere Einschränkungen gibt es bereits. Sie sollen das Risiko vermindern, dass weitere Virus-Mutanten nach Deutschland kommen.
Eine vermutlich sehr ansteckende Mutante aus Großbritannien wurde hierzulande bereits häufiger festgestellt; Coronavirus-Varianten aus Südafrika und Brasilien sind im Moment noch weniger stark verbreitet.
Bewegungsfreiheit in der EU
Doch die Politik ist an rechtliche Grenzen gebunden: Das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union kann nicht ohne weiteres eingeschränkt werden. Das gilt auch für den innereuropäischen Flugverkehr.
Leichter durchsetzbar wären Einschränkungen bei Flügen von außerhalb der EU – jedenfalls dann, wenn die Mitgliedsstaaten sich auf eine einheitliche Linie einigen. Ansonsten könnten Reisende aus Brasilien oder Südafrika in Paris oder Amsterdam landen, um von dort aus nach Deutschland weiterzureisen.
Einschränkungen bei Flügen: Juristische Hürden
"Auch Einschränkungen des Reiseverkehrs unterliegen dem juristischen Gebot der Verhältnismäßigkeit," erklärt der Mainzer Verfassungsrechtler Professor Friedhelm Hufen. Das bedeute: "Sie müssten zunächst einmal geeignet sein, ihr Ziel - hier also eine Verminderung der Ansteckungsgefahr - zu erreichen."
- So verbreitet sind die Corona-Mutanten
Die Virus-Varianten B.1.1.7 aus Großbritannien und B.1.351 aus Südafrika breiten sich auch in Deutschland aus. Ein Überblick über die Fallzahlen, die dem RKI vorliegen.
Dann müssten sie erforderlich sein; "das heißt, es darf keine milderen Mittel geben, mit denen man ebenfalls zum Ziel käme. Und sie müssen angemessen sein; das heißt, man darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen". Auch dürften die Schäden nicht schlimmer sein, als das, was man verhindern will.
Alternative: Tests und Quarantäne?
Geeignet zur Virusbekämpfung wären Flugverbote nur dann, wenn die Virenträger nicht auch auf anderen Wegen nach Deutschland gelangen oder nicht schon längst hier sind. Kritisch beurteilt Hufen die Erforderlichkeit von Flugverboten: Konsequente Corona-Tests bei der Einreise, verbunden mit einer wirksam überwachten Quarantäne in Verdachtsfällen, seien womöglich ein milderes Mittel, das ebenfalls zum Ziel führe. Es dürfte dann allerdings nicht nur für Flugreisende gelten, sondern auch bei der Einreise auf dem Land- oder Seeweg.
Ein ähnliches Modell wird in Neuseeland erfolgreich praktiziert, wo es wegen der Insellage auch leichter durchsetzbar ist: Wer aus dem Ausland einreist, muss dort so lange im Flughafenhotel bleiben, bis klar ist, dass er oder sie kein Coronavirus mitbringt.
Urlauber und Geschäftsreisende: Schwierige Detailfragen
Wer die Fliegerei drastisch einschränkt, muss auch praktische Probleme lösen: Was geschieht mit Urlaubern und Geschäftsreisenden, die sich aktuell in einem Land befinden, aus dem sie nach einem EU-weiten Einflugverbot nicht mehr nach Hause kämen?
Diese und andere Nebenfolgen müssten bedacht werden. Man darf vermuten, dass man sich darüber in den zuständigen Ministerien derzeit Gedanken macht – mit welchem Ergebnis, ist momentan noch unklar.
Günther Neufeldt ist Reporter in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.