Hacker haben interne Dokumente der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA zur Zulassung des Biontech-Impfstoffs geleakt. Die zeigen vor allem, dass die Behörde genau hingesehen hat.
Hacker haben interne Dokumente der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) ins Internet gestellt. Die Veröffentlichung scheint ein klares Ziel zu haben: Zweifel am EMA-Zulassungsverfahren und der Sicherheit des Covid-19-Impfstoffs von Pfizer und Biontech zu schüren. In den ZDFheute vorliegenden Schriftwechseln geht es fast ausschließlich um kritische Anmerkungen von EMA-Mitarbeitern zu bestimmten technischen Spezifikationen des Biontech-Impfstoffs oder dem geplanten Zeitpunkt der Zulassung.
Zeitlich stammen die Dokumente aus dem November 2020. Am 12. Dezember 2020 hatte die Behörde bekannt gegeben, dass sie Ziel eines Cyberangriffs geworden ist. Eine EMA-Pressemitteilung von Freitag betonte zudem, dass Teile der Korrespondenz vor der Veröffentlichung "manipuliert" worden seien. Auf ZDFheute-Nachfrage wollte die Behörde das nicht genauer ausführen. Sie bestätigte aber, dass "die geleakten E-Mails Probleme und Diskussionen reflektieren, die stattgefunden haben".
EMA hatte kritische Anmerkungen während des Verfahrens
Um einen Faktor geht es in den Leaks besonders: Die sogenannte mRNA-Integrität, also wie intakt die für die Wirkung des Impfstoffs zentrale mRNA im Impfstoff ist. Weil mRNA extrem instabil ist, zerfällt ein gewisser Prozentsatz oft bereits im Rahmen des Impfstoff-Herstellungsprozesses. Auch die besondere Notwendigkeit der Kühlung beim Biontech-Impfstoff rührt aus dieser Instabilität.
Wie viel mRNA im Impfstoff bereits abgebaut wurde, kann theoretisch dessen Wirksamkeit beeinflussen. In einer EMA-Nachricht vom 23. November 2020 heißt es dazu:
Die Folgen und Ursachen dieses Integritätsverlustes seien noch nicht klar und müssten untersucht werden, so die EMA-Mitarbeiterin. Die Wirksamkeit des Impfstoffs sei von einem "ausreichend intakten RNA-Molekül abhängig". Ob das ein Grund sein könne, die Zulassung zu verweigern, müsse noch entschieden werden.
Biontech/Pfizer haben sich bei einer EU-Gesundheitskonferenz optimistisch gezeigt, dass ihr Impfstoff auch gegen Mutationen wirkt und die Übertragung des Virus verhindere.
Problem wurde zwischenzeitlich behoben
Am 25. November schrieb eine andere EMA-Mitarbeiterin laut den geleakten Dokumenten, dass die US-Zulassungsbehörde FDA weitere Impfstoff-Lieferungen erhalten habe, die dieses Problem nicht mehr aufwiesen. "Die jüngsten Chargen zeigen, dass der Prozentsatz intakter RNA zurück bei 70 bis 75 Prozent ist. Das macht uns vorsichtig optimistisch, dass weitere Daten dieses Problem lösen könnten."
Ende November war der europäische Zulassungsprozess noch lange nicht abgeschlossen. Gegenüber ZDFheute bestätigte die EMA, dass das Problem vor dem Zulassungstermin gelöst werden konnte: "Die Firma war in der Lage, diese Probleme anzugehen und stellte die benötigten Informationen zur Verfügung, sodass die EMA eine positive Empfehlung für diesen Impfstoff aussprechen konnte", so eine EMA-Sprecherin. Es sei unwahrscheinlich, dass geringfügig höhere Mengen an modifizierter mRNA in kommerziell hergestellten Chargen eine Immunreaktion von biologischer Relevanz auslösen würden, so die EMA.
Biontech wollte sich auf ZDFheute-Anfrage zu keinem Aspekt der veröffentlichten Inhalte äußern.
Die Dokumente taugen bislang zu keinem Skandal
Um diese Aussagen einzuschätzen, sprach ZDFheute mit einer nicht bei Biontech angestellten Biowissenschaftlerin, die mit Produktionsverfahren von mRNA-Stoffen jedoch vertraut ist. Für sie deuten die Informationen in den E-Mails nicht auf einen Skandal hin.
"Vor allem beim Hochfahren einer Produktion kann es dazu kommen und die Suche nach Ursachen ist sehr komplex", sagt sie mit Verweis auf den rasante Impfstoffentwicklung bei Biontech, wo parallel zu Forschung und klinischen Testverfahren bereits Lieferketten und Produktion aufgebaut wurden.
Dass einzelne Chargen einmal außerhalb der Spezifikationen liegen, sei in so einer Phase nicht ungewöhnlich.
Anzeichen für ein gewissenhaftes Zulassungsverfahren
In den Augen der Expertin seien die E-Mails sogar ein Beleg dafür, dass das Zulassungsverfahren der EMA professionell durchgeführt wurde. "Als sie gesehen haben, dass Biontech in klinischen Testverfahren 70 Prozent mRNA-Integrität erreichen kann, haben sie wohl darauf bestanden, dass das auch in der späteren skalierten Produktion so erreicht wird."
Dass sich Impfstoff-Chargen mit niedrigerem Integritätswert als offiziell festgelegt im Umlauf befänden und geimpft würden, schließt die EMA kategorisch aus. Produktionsmengen mit weniger als dem vorgeschriebenen Mindestwert dürften in der EU nicht verwendet werden. Die Aufsichtsbehörden kontrollieren auch weiterhin, ob diese Vorgaben eingehalten werden.
Öffentlich einsehbar sind diese Zahlen für gewöhnlich aber nicht. Das trifft auch auf den nun gültigen mRNA-Integritätswert zu. "Obwohl uns bewusst ist, dass Informationen aus illegal in Besitz gebrachten Dokumenten im Umlauf sind (...), die spezifischen Kontrolllimits werden als Geschäftsgeheimnisse betrachtet und können darum nicht veröffentlicht werden", sagte eine EMA-Sprecherin ZDFheute.
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