Corona: Pandemie endlich vorbei? Kommt auf die Definition an

    Corona und die endemische Lage:Pandemie vorbei? Kommt auf die Definition an

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
    |

    Stiko-Chef Mertens sieht uns in der Corona-Endemie angekommen. Andere Experten sind noch vorsichtig. Warum es so schwer zu sagen ist, wann die Pandemie tatsächlich vorbei ist.

    Die Besucher des Hamburger Isemarkt tragen am 09.10.2020 einen Mund-Nasen-Schutz.
    Sind wir in der Corona-Endemie angekommen? Experten sind sich nicht einig.
    Quelle: dpa

    Wann ist sie nun endlich vorbei, diese Corona-Pandemie? Bald drei Jahre nach Ausbruch sehnen sich viele Menschen nach einem mentalen Abschluss mit der Krise. Doch wie definiert man vorbei? Diese nur scheinbar einfache Frage hat viele Dimensionen - etwa, ob man die Frage medizinisch oder politisch beantworten möchte.

    Die harten Maßnahmen sind vermutlich Vergangenheit

    Am 25. November 2021 lief die Corona-Notlage, die vom Bundestag festgestellte "epidemische Lage von nationaler Tragweite", aus. Für viele der härtesten Corona-Maßnahmen gibt es seitdem keine gesetzliche Grundlage mehr. Auch gegen die Impfpflicht im Gesundheitswesen rebellieren inzwischen mehrere Bundesländer, ob sie über Ende 2022 hinaus verlängert wird, ist unklar.
    Bei einem erneuten Aufflammen einer Winterwelle betont die Mehrheit der Politiker und Experten inzwischen, dass die folgenschwersten Maßnahmen wie Ausgangssperren oder Schulschließungen nicht mehr zur Debatte stünden.

    Deutschland bekommt keinen "Freedom Day"

    In Frankreich hat Präsident Emmanuel Macron die Pandemie Anfang August offiziell für beendet erklärt. England hatte seinen ersten "Freedom Day" bereits am 19. Juli 2021 - mit gemischten Ergebnissen.
    So ein zentral von oben herab verkündetes und bejubeltes Pandemie-Ende wurde zwar von Einzelnen auch für Deutschland gefordert, war aber unter anderem mit Blick auf die komplexen föderalen Beratungs- und Entscheidungsprozesse weder mehrheitsfähig noch politisch umsetzbar.
    Das Ergebnis ist, dass man sich in Deutschland weiterhin in einer Grauzone fühlt; die schlimmsten Pandemie-Zeiten klar hinter sich, ganz abgeflaut sind die Debatten über Maßnahmen aber noch nicht. Der Schutz von Risikogruppen, Long Covid, das jeden treffen kann, die Überlastung von Kliniken und den Auswirkungen auf den Krankenstand in Unternehmen bleiben politisch relevante Themen.

    Sind wir in der Corona-Endemie angekommen?

    Doch wie steht es um die medizinischen Kriterien? In einem BR-Interview diese Woche schätzte Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko), Covid-19 als "endemische Virusinfektion" ein. Als endemisch gilt eine Krankheit, wenn sie mit relativ konstanter Erkrankungszahl dauerhaft in einer Region auftritt.
    Bei einer Pandemie hingegen treffe ein weltweit unbekannter Erreger auf eine menschliche Population, die keine immunologische Erfahrung damit habe, sagte Mertens. Durch Impfung oder Infektion hätte ein Großteil unserer Bevölkerung inzwischen eine Basisimmunität entwickelt.
    Dashboard Corona
    ZDFheute Infografik
    Ein Klick für den Datenschutz
    Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
    Gestützt wird das etwa durch die vom Bundesforschungsministerium geförderte Immunebridge-Studie, die bei mehr als 95 Prozent der Studienteilnehmer Antikörper im Blut nachweisen konnte. Leif Erik Sander, Leiter der Impfstoffforschung an der Berliner Charité, warnte dennoch vor einer Überinterpretation dieser Daten:

    Der alleinige Nachweis von Antikörpern ist leider nicht gleichzusetzen mit einer Immunität im Sinne eines Infektionsschutzes.

    Leif Erik Sander, Charité Berlin

    Qualität und Quantität der Antikörper ließen im Laufe der Zeit nach, zudem hätten weltweit neu auftretende Virusvarianten teils starke Immunflucht, wodurch Impfstoffe nicht mehr so gut gegen Infektion schützten, sagte Sander ZDFheute anlässlich der Veröffentlichung im September.

    Brockmann: Endemie ist "provinziell eingefärbte Perspektive"

    Dirk Brockmann, Physiker an der HU Berlin und Projektleiter für die Modellierung von Infektionskrankheiten am Robert-Koch-Institut, betont gegenüber ZDFheute, dass es bei der Frage nach dem Pandemie-Ende schwierig sei, eine scharfe Linie zu ziehen, die man objektiv vermessen könne. Man sollte nicht nur eine nationale Perspektive einnehmen, so Brockmann.

    Ob Covid-19 noch pandemisch ist, ist eine Frage, die man nur beantworten kann, wenn man das international, global betrachtet. Das ist ja auch von vornherein in der Definition des Begriffs. (...) Aus globaler Sicht sind wir ganz sicher nicht in einem endemischen Zustand.

    Dirk Brockmann, Humboldt-Universität Berlin

    Brockmann beobachtet weltweit weiterhin "hoch dynamische, nur wenig mit den Jahreszeiten korrelierte Situationen". "Covid-19 jetzt schon global als endemisch zu betrachten ist eine provinziell eingefärbte und damit verzerrte Perspektive."

    WHO: Pandemie bleibt internationaler Gesundheitsnotstand

    "Der Übergang von einer Pandemie in eine Endemie kann nicht eindeutig anhand eines 'Schwellenwertes' festgelegt werden und findet auch global nicht überall gleichzeitig statt", betont auch Thorsten Lehr, Projektleiter des Covid-19-Simulators an der Universität des Saarlandes, gegenüber ZDFheute. Wie Brockmann weist auch Lehr auf Sars-CoV-2-Wellen hin, die weiterhin und anders als andere Erkältungsviren die Saisonalität durchbrechen.

    Der Zustand "endemisch" bedeutet keinesfalls, dass Sars-CoV-2 harmlos wird! Es bedeutet nur, dass wir es nicht mehr loswerden und es auch weiterhin höchstwahrscheinlich zu Ausbrüchen und Erkrankungswellen kommen wird.

    Thorsten Lehr, Universität des Saarlandes

    Keinen Grund an ihrer offiziellen Einschätzung etwas zu ändern, sieht die Bundesregierung. "Der Corona-Ausbruch wurde 2020 von der WHO zur Pandemie ausgerufen und ausschließlich die WHO kann dies auch wieder revidieren", so eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums am Freitag. Erst am 19. Oktober entschied das zuständige WHO-Komitee, den internationalen Notstand nochmals zu verlängern. Dennoch sei auch laut WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus inzwischen ein "Ende der Pandemie in Sicht".
    WHO-Mitteilung zum Gesundheitsnotstand
    Ein Klick für den Datenschutz
    Erst wenn Sie hier klicken, werden Bilder und andere Daten von Twitter nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Twitter übertragen. Über den Datenschutz dieses Social Media-Anbieters können Sie sich auf der Seite von Twitter informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
    Datenschutzeinstellungen anpassen
    All diese politischen und medizinischen Ambiguitäten werden sich auch in den kommenden Monaten nicht restlos auflösen. Ein eindeutiges Enddatum wird die Pandemie in Deutschland darum vermutlich vorerst nicht haben.

    Hintergründe zu Covid-19

    Mehr

    Die wichtigsten Daten zum Coronavirus

    Aktuelle Nachrichten zur Corona-Krise