Der Deutsche Ethikrat hat Fehler und Missstände bei der Bewältigung der Corona-Pandemie in Deutschland benannt und Empfehlungen für künftige Krisen gegeben.
Der Deutsche Ethikrat hat in Berlin in einer gut 160-seitigen Stellungnahme Fehler und Missstände bei der Bewältigung der Corona-Pandemie in Deutschland benannt und Empfehlungen für einen künftigen Umgang mit Pandemien vorgelegt. So seien zahlreiche Institutionen wie Gesundheitsämter und Schulen nur unzureichend auf die Krise vorbereitet gewesen und insbesondere vulnerable Gruppen wie Pflegebedürftige zum Teil nicht gut geschützt worden, hieß es.
Aber auch alle anderen Menschen blieben "verletzlich" und seien beispielsweise von negativen Folgen der Pandemiemaßnahmen betroffen, mahnten die Fachleute.
Lehren, um zukünftige Krisen besser zu bewältigen
Die Experten wollen damit Lehren aus den Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie ziehen. Der Text steht unter der Überschrift "Vulnerabilität und Resilienz in der Krise". Der Rat entwickelt ethische Kriterien für schwierige Entscheidungen, um angemessener auf besondere Verletzlichkeiten von Individuen und Institutionen einzugehen und deren Widerstandsfähigkeit zu stärken.
Seit Anfang 2020 habe die Pandemie weltweit einschneidende Abwägungen und Priorisierungen erzwungen, "die nicht nur politisch verantwortet, sondern auch ethisch gerechtfertigt werden müssen", heißt es in dem Text.
Unterschiedliche moralische Güter abwägen
Dabei könnten unterschiedliche moralische Güter nicht immer gleichzeitig oder im gleichen Maße gewahrt oder umgesetzt werden.
In einer Krise von weltgeschichtlichem Ausmaß seien Fehler und Fehlentscheidungen unvermeidlich, betont der Rat. "Die Entwicklung einer nachhaltigen Strategie zur Bewältigung zukünftiger Pandemien muss daher auch auf einer kritischen Analyse systemischer Mängel, dysfunktionaler Organisationsformen und ungeeigneter Verfahren aufbauen", mahnte die Sprecherin der zuständigen Arbeitsgruppe, Sigrid Graumann.
Eine wesentliche Frage ist dabei für die Ethiker, wann bei der Eindämmung von Pandemien individuelle Freiheit zugunsten des Gesundheitsschutzes aller zurücktreten sollte - oder umgekehrt.
- Es sei gerechtfertigt, bestimmte Gruppen, etwa Ältere, aus gesundheitlichen Gründe als verletzlich einzustufen.
- Daraus könne ein Anspruch auf besondere Solidarität abgeleitet werden.
- Allerdings blieben auch andere verletzlich, wie etwa Kinder, Jugendliche, Auszubildende und Studierende, die unter den Einschränkungen von Ausbildung und Sozialleben zu leiden hätten,
betonte Graumanns Stellvertreter, der Berliner Theologe und Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl.
Aspekte der Gerechtigkeit
Deshalb kämen Aspekte der Gerechtigkeit ins Spiel. Kriterien für die
- gerechte Verteilung von knappen Impfstoffen oder
- gerechte Verteilung von intensivmedizinischen Gütern seien ebenso wichtig wie der
- Ausgleich für besondere pandemiebedingte Belastungen, sagte die Vorsitzende. Als weitere Themen nennt das Papier die
- Solidarität wohlhabender Länder mit weniger wohlhabenden oder die Frage,
- welche Lasten die gegenwärtig lebenden Menschen zukünftigen Generationen aufbürden dürfen.
Verletzliche Gruppen künftig stärken
Je länger die Pandemie dauerte und je länger etwa Schulen von Lockdowns betroffen waren, "desto stärker vulnerabel wurde die junge Generation", sagte die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx und verwies auf die psychischen Belastungen.
So seien im Verlauf der Pandemie die zunehmenden Folgen der Corona-Maßnahmen etwa im Bildungsbereich für jüngere Menschen "nicht genug berücksichtigt und gesehen" worden, sagte die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx. Auch litten junge Menschen besonders unter Einschränkungen ihrer Ausbildung und ihres Soziallebens. Das müsse man ändern.
Weiterhin müssten Institutionen wie Gesundheitsämter, Pflegeheime oder Einrichtungen im Bildungsbereich krisenfester werden. Eine solche Widerstandskraft habe "in etlichen Bereichen gefehlt", sagte Ethikratsmitglied Andreas Lob-Hüdepohl.