Die Corona-Zahlen sind hoch wie nie, dennoch dringen immer mehr Politiker auf Lockerungen. Wissenschaftler mahnen jedoch zur Vorsicht. Fragen und Antworten rund um die Debatte.
Immer neue Höchstwerte bei den Corona-Neuinfektionen, dennoch ist die Debatte um mögliche Lockerungen in vollem Gange. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte etwa, für die Zeit nach dem Höhepunkt der Welle zu planen und perspektivisch bestimmte Freiheiten zurückzugeben, etwa in der Gastronomie. Lockerungen ab Mitte Februar seien möglich, sagte er am Wochenende in der ARD.
Die Bundesregierung wies am Montag darauf hin, dass die Omikron-Welle ihren Höhepunkt noch nicht erreicht habe. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwartet diesen für Mitte Februar. Auch Wissenschaftler sind skeptisch und mahnen zur Vorsicht.
Stabile Lage in den Kliniken trotz hohen Fallzahlen und Höchstwerte. Die Forderungen nach Lockerungen der bestehenden Maßnahmen werden lauter. Ein Überblick.
Wie bewerten Wissenschaftler die Lockerungsdebatte?
"Eine Exit-Strategie zu planen, um sie später bereitliegen zu haben, ist gut und vernünftig", sagte der Virologe Friedemann Weber von der Universität Gießen. Die Politik solle aber nichts überstürzen. "Wenn man solche Pläne vorbereitet, muss man den Menschen auch immer klar dazu sagen, dass es noch zu nicht absehbaren Entwicklungen kommen könnte."
Die Diskussion sende "viel zu früh" die Botschaft, dass die Pandemie schon vorbei sei, sagt Max Geraedts, der das Institut für Versorgungsforschung und Klinische Epidemiologie an der Philipps-Universität Marburg.
Warum sind die Wissenschaftler so skeptisch?
Die Infektiologin Jana Schroeder von der Stiftung Mathias-Spital in Rheine verweist auf aktuelle Fallzahlen: "Wir stehen vor einem weiteren Anwachsen der Infektionswelle." Möglicherweise könnten sogar erst einmal weitere Einschränkungen sinnvoll sein, sagt sie.
Schroeder verwies zum Beispiel auf Long Covid, Folgen möglicher wiederholter Infektionen und die begrenzten Therapieoptionen.
Ab Mitte März gilt eigentlich die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen. Die Kontrolle überfordert die Gesundheitsämter.
Könnte noch eine Überlastung des Gesundheitssystems drohen?
Bisher ist Omikron besonders stark unter Kindern und Jugendlichen im Alter von 5 bis 14 Jahren verbreitet und deutlich weniger bei Menschen ab 60 Jahren. In Krankenhäusern kommen die Infizierten, die es schwerer trifft, mit Verzug von etwa ein bis zwei Wochen an.
Mit der sehr hohen Infiziertenzahl steige die Wahrscheinlichkeit, dass sich die noch älteren ungeimpften Menschen anstecken und auch wieder vermehrt schwerere Verläufe in den Krankenhäusern behandelt werden müssen, gab Geraedts zu bedenken. Schroeder wies darauf hin, dass noch etwa drei Millionen Senioren ungeimpft seien.
Kann man Deutschland mit Dänemark und England vergleichen?
Die Vergleiche greifen für Fachleute zu kurz: In beiden Ländern seien die Verhältnisse anders als hier. Dänemark habe eine wesentlich höhere Impfquote, England eine weiter fortgeschrittene Durchseuchung mit schon bisher wesentlich höheren Todeszahlen. Deutschland habe bei den Menschen über 60 viermal so viele Ungeimpfte wie England, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kürzlich.
Trotz hoher Infektionszahlen hebt Dänemark nahezu alle Corona-Beschränkungen auf. Die Regierung begründet das mit der hohen Impfquote und entspannten Lage in den Krankenhäusern.
Welche Voraussetzungen nennen Wissenschaftler für Lockerungen?
Lockerungen seien nach Ansicht von Geraedts erst möglich, wenn die Belegung der Krankenhäuser mit infizierten Patienten und die Zahl der Arztbesuche wegen einer Corona-Infektion tatsächlich konstant zurückgingen. Beides ist bislang nicht der Fall.
Die Inzidenz hingegen spiegle derzeit angesichts knapper PCR-Tests nicht das wahre Bild wider, betonte Schroeder. Politikerinnen und Politiker müssten die Lage daher anhand verschiedener Faktoren bewerten.
Welche Maßnahme sollten aus fachlicher Sicht zuletzt fallen?
Die Maßnahme, die aus Sicht des Virologen Weber am längsten erhalten bleiben sollte, ist das Maskentragen: "Es ist eine relativ verträgliche, aber sehr effektive Maßnahme - insbesondere an sensiblen Orten wie in Innenräumen sollte man das Maskentragen beibehalten. Oder in Situationen mit vielen Ungeimpften."
- Subtyp BA.2 könnte Omikron-Welle verlängern
Experten sind besorgt wegen des neuen Omikron-Subtyps BA.2. Einer Studie aus Dänemark zufolge soll dieser noch ansteckender sein und könnte die aktuelle Infektionswelle verlängern.