Die Bundesregierung hat klar geregelt, wer zuerst geimpft wird und wer noch warten muss. Doch für manche Politiker, Behördenleiter, Kirchenfunktionäre scheint das nicht zu gelten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach vom "Licht am Ende des Tunnels" und meinte das Impfen. Doch das Impfgut ist knapp. Deshalb hat die Bundesregierung in einer Verordnung festgelegt, wer zuerst geimpft wird: alte Menschen über 80.
Zuerst sollen die eine Spritze bekommen, die in Pflegeheimen leben. Dann kommen die an die Reihe, die sie betreuen und versorgen, danach alte Menschen, die zu Hause versorgt werden. Bürgermeister, Landräte, Feuerwehrchefs und Geistliche haben keine Priorität.
Der Impfstoff war wohl übrig
Doch überall im Land kommt ans Licht, dass sich sogenannte Führungskräfte vordrängeln beim Impfen. Der Bürgermeister von Hennef, Mario Dahm (SPD) ist 31 Jahre alt, kerngesund und seit November 2020 im Amt. Impfen ließ er sich am 1. Januar 2021 in einem Seniorenheim. Auch eine zweite Impfung erhielt er bereits.
Warum er schon jetzt immunisiert ist, versucht er zu erklären. Überzähliger Impfstoff hätte entsorgt werden müssen, sagt Dahm auf Nachfrage. "Wir wurden gebeten, uns impfen zu lassen, dem sind wir nachgekommen".
Der Bürgermeister erhält eine Strafanzeige
Auch Dahmkes Vorgänger als Bürgermeister, Klaus Pipke, wurde geimpft. Der 54-Jährige ist heute Chef des Deutschen Roten Kreuzes in Hennef und zeigt sich reuig. "Ich würde eine solche Impfung heute nicht mehr annehmen. Das war unklug." Auf die Idee, direkt neben dem Altenheim in den dortigen Seniorenwohnungen Impfwillige zu suchen, sind beide wohl nicht gekommen.
Ein Hennefer Arzt hat inzwischen Strafanzeige gegen den Bürgermeister gestellt. Bei der Feuerwehr in Hamburg wurden leitende Beamte geimpft, unter anderem der Chef der Feuerwehrakademie und der Vorsitzende des Deutschen Roten Kreuzes im Stadtteil Harburg, samt Ehefrau. Auch hier sei Impfstoff übrig gewesen, lautet die Begründung.
Rettungskräfte impfen? Das wurde nicht erwogen
Allerdings wurden die Besatzungen der Rettungs- und Krankenwagen - mehr als 400 haben zu jeder Sekunde in Hamburg Dienst - gar nicht erst gefragt, ob sie impfwillig sind. Angeblich aus "Angst vor Nebenwirkungen", heißt es dazu. Bis heute sind lediglich 306 von 2.600 Einsatzkräften geimpft.
Daniel Dahlke von der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft hält den Verantwortlichen "großes Versagen" vor. "Wir fühlen uns vom Hamburger Senat im Stich gelassen, weil wissentlich nicht die richtigen Entscheidungen getroffen worden sind." Der Harburger DRK-Chef wurde inzwischen von seinen Aufgaben entbunden - offiziell aus Krankheitsgründen.
Sogar Kirchenvertreter nehmen Impfdosen nur für sich
In Oberhausen betreibt die neuapostolische Kirche, eine Glaubensgemeinschaft mit rund 330.000 Mitgliedern in Deutschland, ein Altenheim. Auch hier wurde am 1. Januar 2021 geimpft - am Abend erhielten der Bezirksapostel Rainer Storck und seine Frau, beide weit unter der Altersgrenze, ihre Spritze.
Die Geschichte klingt gleich: "Impfdosen waren übrig", heißt es auf Nachfrage. Man habe die nicht entsorgen wollen. Aber auch hier: In den direkt benachbarten Seniorenwohnungen, vermietet von der Kirche, wurde nicht gefragt.
Möglicherweise ist das sogar Betrug
Zunächst will Storck kein Interview geben. Als Frontal-21-Reporter ihn auf dem Weg in sein Büro ansprechen, entschuldigt sich Apostel Storck. "Mir ist bewusst, dass ich Ärgernis und Wut ausgelöst habe, und es tut mir sehr leid. Und ich möchte mich dafür entschuldigen."
Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz, hat kein Verständnis für die Impfdrängler. Er berichtet von weiteren Fällen aus Halle, Wittmund, Köln, Wachtberg und Stendal. Brysch fordert, ungerechtfertigte Impfungen mit Geld- oder sogar Haftstrafen zu sanktionieren. "Es könnte der Tatbestand des Betruges erfüllt sein."
- Das passiert mit übrig gebliebenem Impfstoff
Corona-Impfstoffe sind ein wertvolles, aber instabiles Gut. Impfteams, Zentren und Behörden versuchen, Verschwendung zu vermeiden. Was übrig bleibt, impfen sie sich gegenseitig.