Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über den Corona-Wiederaufbaufonds. Mit der Zustimmung gehe Deutschland unkalkulierbare Risiken ein, so Beschwerdeführer Bernd Lucke.
Die Pandemie hat viel Geld gekostet, nicht nur Bürger*innen und Unternehmen, sondern auch Staaten. Im Frühjahr 2021 präsentierte die EU ein 750 Milliarden Euro schweres Hilfsprogramm, um die Verluste der Mitgliedsstaaten aufzufangen und das wirtschaftliche Wachstum in der Krise wiederanzukurbeln. Dieser so genannte Corona-Wiederaufbaufonds steht ab heute vor dem Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand.
Die zwei gemeinsam in Karlsruhe verhandelten Verfahren drehen sich auch um die Frage, ob der Deutsche Bundestag seine Autonomie über den Bundeshaushalt an die EU verloren hat. So argumentieren die Beschwerdeführer um den ehemaligen AfD-Chef Bernd Lucke.
Ist EU-Wiederaufbaufonds mit Grundgesetz vereinbar?
Der Fonds ist Teil des Corona-Aufbaupakets "Next Generation EU". Dieses soll die Corona-bedingten Verluste der Mitgliedsstaaten auffangen.
Der Bundestag billigte das Aufbauprogramm am 25. und 26. März 2021 per Gesetz, das sogenannte Eigenmittelratifizierungsgesetz (ERatG). Dieses Gesetz wird nun in Karlsruhe darauf geprüft, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Die EU will ihre Mitgliedsstaaten nach der Pandemie mit einem Wiederaufbau-Fonds von mehr als 750 Milliarden Euro zukunftssicher machen. Was ist da für die Kinder Europas drin?
Erster Streitpunkt: Finanzierung
Von vorherigen Krisenpaketen wie dem ESM oder dem EZB-Anleihenprogramm unterscheidet sich der Wiederaufbaufonds sowohl hinsichtlich seines Umfangs als auch hinsichtlich der Finanzierung und Rückzahlung. Mit 750 Milliarden Euro übersteigt der Fonds die übrigen Programme bei weitem. Aufgenommen hat die EU die Summe am Kapitalmarkt.
390 Milliarden Euro werden den Mitgliedsstaaten als Zuschüsse gewährt, die sie nicht zurückzahlen müssen, die restlichen 360 Milliarden Euro als Kredite. Das führt zur Frage, wie die EU die Gelder (bis 2058) zurückzahlen will: Erstens muss sie in Höhe der Zuschüsse das Geld zur Tilgung von vornherein aus eigenen Mitteln aufbringen. Das heißt: Die Gesamtheit der Mitgliedsstaaten schenkt den bedürftigsten Ländern unter ihnen 390 Milliarden. Zweitens besteht das Risiko, dass auch die 360 Milliarden Euro, die als Kredite gewährt werden, in erheblichen Umfang nicht zurückgezahlt werden. Besonderes Augenmerk liegt hier auf dem hochverschuldeten Italien.
Die Disziplinarkammer half Polen, beliebig Richter und Staatsanwälte zu feuern. Die EU blockierte Polens 35 Milliarden Euro Corona-Hilfe, jetzt sollen sie doch ausgezahlt werden.
Zweiter Streitpunkt: Nachschusspflicht
Zudem sieht der EU-Beschluss vor, dass die Mitgliedsstaaten entsprechend ihrer Beteiligung am Fonds nachzahlen müssen, wenn nach Ausschüttung der 750 Milliarden Euro weitere Gelder benötigt werden.
Ob und in welcher Höhe eine solche Nachzahlung erfolgen soll, entscheidet die Europäische Kommission allein - ohne dass es einer weiteren Zustimmung der Mitgliedsstaaten bedarf. Diese so genannte Nachschusspflicht bietet Ökonomen Anlass zur Sorge. Denn jedenfalls theoretisch besteht die Möglichkeit einer unbegrenzten Nachzahlungspflicht.
Bundesrechnungshof: Deutschland trägt 65 Milliarden Euro
Einem Sonderbericht des Bundesrechnungshofes (2021) zufolge ist die Bundesrepublik mit 65 Milliarden Euro die größte Einzahlerin und damit von den Finanzierungs- und Nachschusspflichten überproportional betroffen.
Auch erhält Deutschland weniger aus dem Fonds, weil es die Krise vergleichsweise gut überstanden hat und damit weniger bedürftig ist. Hieran stören sich die Beschwerdeführer besonders.
Lucke und Co.: Fonds nicht aus EU-Eigenmitteln finanziert
2.281 weitere Personen haben sich dem Euroskeptiker Bernd Lucke als Beschwerdeführer angeschlossen. Sie meinen, der Fonds sei nicht aus Eigenmitteln der EU, also den Beiträgen der Mitgliedsstaaten finanziert, sondern aus Fremdmitteln. Genau das aber lassen die Gründungsverträge der EU nicht zu.
Würde das Gericht ebenfalls zu diesem Schluss gelangen, verstieße der Fonds gegen europäisches Recht - und die Zustimmung des Bundestags gegen das Grundgesetz. Ob wirklich eine Fremdmittelfinanzierung vorliegt, werden die Richter*innen klären müssen.
Gleiches gilt für den zweiten Einwand von Lucke und Co., durch die unbegrenzte Nachschusspflicht gebe der Bundestag seine Haushaltsautonomie auf. Schlimmstenfalls - so meint Bernd Lucke - bleibt Deutschland als einziger zahlungsfähiger Eurostaat übrig und muss die Rückzahlung der 750 Milliarden Euro allein stemmen. Ob diese Einschätzung zutrifft, ist vor allem eine Tatsachenfrage. Zu ihrer Klärung hat das Bundesverfassungsgericht zahlreiche ökonomische Sachverständige geladen.
- 540-Milliarden-Paket bisher wenig genutzt
Vor knapp einem Jahr schnürten die EU-Staaten ihr erstes Milliardenpaket für die europäische Wirtschaft. Schnelle Finanzhilfen wurde versprochen, gezahlt wurde bisher wenig.