Bis zum 22. September soll laut Bundesregierung jede Person in Deutschland ein Impfangebot gegen das Coronavirus erhalten. Ist das möglich? Das Impftempo müsste deutlich zunehmen.
Ein Impfangebot gegen das Coronavirus bis zum 22. September - das sagten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Gesundheitsminister Jens Spahn, beide CDU, allen Menschen in Deutschland zu. Doch das Versprechen ist an die Bedingung geknüpft, dass auch genügend Impfstoff verfügbar ist.
Ist das zu schaffen und welche Fragen sind noch offen?
Wie viele Menschen müssen dafür geimpft werden?
Da keine Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe für Minderjährige vorliegen, werden zunächst nur Personen ab 18 Jahren geimpft. Damit fallen rund 13,7 Millionen von etwa 83 Millionen Menschen weg.
Der größte Unsicherheitsfaktor bei der Impfpopulation ist die Quote der Impfverweigerer. Von welcher Quote geht die Bundesregierung aus und sind sie in die Überlegungen bereits fest eingeplant? Das Bundesgesundheitsministerium nannte ZDFheute dazu keine konkreten Zahlen.
Prof. Fred Zepp, Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin an der Universität Mainz und Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko), geht aktuell von einer Impfbereitschaft von etwa 65 Prozent der Bevölkerung aus. "Etwa 30 Prozent sind noch unentschieden oder impfskeptisch", sagte er ZDFheute. Den Anteil "ideologisch fixierter Impfgegner" schätze er auf drei bis fünf Prozent.
Ob das Versprechen umgesetzt werden kann, liegt also auch am Verhalten der mehr als 20 Millionen Unentschiedenen.
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Jens Spahns Impf-Beben
Lieferprobleme bei den Herstellern, auch sonst läuft es keineswegs rund: Jens Spahns "Impfstrategie" droht zu scheitern, der Minister steht mit dem Rücken zur Wand. Ein Kommentar.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Bislang haben etwa 1,7 Millionen Menschen mindestens eine Dosis Covid-Impfstoff erhalten. Bis zum 22. September sind es aktuell 236 Tage.
Bei 65 Prozent Impfbeteiligung müssten gegenwärtig rund 186.000 Erstimpfungen pro Tag durchgeführt werden, um das Versprechen zu halten. Bei 95 Prozent Beteiligung rund 272.000 pro Tag.
Mit jedem Tag, an dem diese Werte nicht erreicht werden, steigen sie für die verbleibende Zeitspanne. In den vergangenen zwei Wochen fanden laut Robert-Koch-Institut im Schnitt täglich rund 60.700 Erstimpfungen statt.
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Wann wird es ausreichend Impfstoff geben?
Diese Gretchenfrage ist aktuell angesichts von Liefer- und Zulassungsproblemen verschiedener Hersteller kaum zu beantworten. Vor allem hängt es von der möglichen EU-Zulassung des AstraZeneca-Vakzins in den kommenden Tagen ab und für welche Altersgruppen dieser Impfstoff zugelassen wird. Für Deutschland sieht ein Stiko-Entwurf lediglich eine Impfung von Personen unter 65 Jahren vor.
Mit welchen Liefermengen es im Verlauf des Jahres rechnet, möchte oder kann das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gegenwärtig nicht mitteilen. Eine Sprecherin sagte zu ZDFheute, man habe "keine Glaskugel" und die pro Quartal zugesagten Liefermengen würden "für gewöhnlich nicht rausgegeben".
Das sind deutlich andere Worte als die von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) in der ZDF-Sendung "maybritt illner" vor einer Woche:
Die EU und der Pharmakonzern AstraZeneca streiten über die Lieferengpässe des Corona-Impfstoffs. ZDF-Korrespondent Stefan Leifert mit den Einzelheiten zur Pressekonferenz.
Der "Spiegel" zitierte aus einem auf den 4. Januar datierten BMG-Papier. Demzufolge sollten im ersten Quartal circa 20 Millionen Impfdosen, im zweiten circa 70 Millionen und im dritten circa 127 Millionen geliefert werden. Darin seien alle Chargen aus EU-Bestellungen plus 30 Millionen zusätzliche Dosen aus nationalen Bestellungen enthalten.
Auf Basis dieser Zahlen hätte das Impfversprechen Hand und Fuß, es stünden bis zum dritten Quartal ausreichend Mengen bereit, um alle zu impfen.
Damit hatte man ursprünglich in der Bundesregierung gerechnet und wahrscheinlich auch auf dieser Grundlage das Impfversprechen abgegeben. Offiziell besteht es bis heute, obwohl die garantierten Liefermengen reduziert oder nach hinten verschoben wurden. Für das erste Quartal nennt die Webseite der Bundesregierung aktuell lediglich eine Summe von 11 bis 13 Millionen Impfdosen.
Die EU und der britisch-schwedische Konzern AstraZeneca sind in einen kleinteiligen Streit verstrickt. Gegen den Vorwurf des Vertragsbruchs seitens der EU setzt sich der Hersteller zur Wehr. Ob ein Krisengespräch zur Lösung beiträgt?
Bundesländer und Experten bleiben vorsichtig
Es ist bezeichnend, dass sich gegenwärtig keines der von ZDFheute angefragten Landesgesundheitsministerien offensiv hinter das Impfversprechen der Bundesregierung stellt und es für seine Bevölkerung mit dem gleichen Stichtag wiederholt. Es überwiegen Skepsis und Vorsicht.
"Mit den Lieferverzögerungen wird dieses Ziel noch ambitionierter", sagte eine Sprecherin des niedersächsischen Gesundheitsministeriums. Auch der Stiko-Vorsitzende Prof. Thomas Mertens bezeichnete das Vorhaben gegenüber ZDFheute als "eher optimistisch".
Wie verlief die Impfkampagne bislang? Lesen Sie hier die Analyse zu einem Monat Covid-Impfungen in Deutschland:
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Wie die Corona-Impfungen vorankommenKnappheit herrscht überall, trotzdem unterscheidet sich das Impftempo der Bundesländer stark: Wo es schnell, wo es langsam geht - und warum eine Million Dosen auf Halde liegen.