Er könnte Hoffnung für Pendler und Reisende sein: ein digitaler Impfpass für ganz Europa. Er könnte beweisen: keine Covid-19-Gefahr. Die Politik bremst, der Tourismus hofft.
Eigentlich war die Politik immer dagegen. Wenn Restaurants, Kinos, Reiseveranstalter einen Nachweis über eine Impfung gegen Covid-19 verlangen, bitte, der Staat werde es nicht. So hieß es immer.
Jetzt aber hat der Europäische Rat beschlossen, einen digitalen Impfpass in den kommenden drei Monaten einzuführen. Damit könnte genau das passieren: Er könnte für alle gegen Covid-19-Geimpfte die Eintrittskarte für alte Freiheiten werden.
Berlin schiebt Entwicklung mit Dringlichkeit an
In Deutschland war der digitale Impfpass ohnehin für Januar 2022 geplant. Er sollte im Zusammenhang mit der elektronischen Gesundheitskarte eingeführt werden. Weil vor allem Österreich, Portugal und Spanien, die besonders von der Tourismusindustrie abhängig sind, nun auf einen früheren Start dringen, steckt Deutschland in der Zwickmühle.
Zwar stimmte auch Berlin beim Europäischen Rat dafür, dass etwa bis Juni die technischen Voraussetzungen für einen europaweiten digitalen Impfpass entwickelt werden. Das Vergabeverfahren wurde mit besonderer Dringlichkeit gerade angeschoben. Aber zu was genau der Nachweis über eine Impfung gegen Covid-19 per App oder Scheckkarte plus QR-Code zum Beispiel dann berechtigen soll, ist völlig offen.
Koalition mal wieder gespalten
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte schon am Donnerstag abgewunken: Über die Folgen des Passes "sind überhaupt noch keine politischen Entscheidungen getroffen". Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn tritt heute auf die Bremse: Diese Debatte müsse "breit im Bundestag geführt werden". Dass damit mehr Reisen möglich sein werden, sei nicht unbedingt gesagt:
Andere sind weniger zögerlich. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte im Deutschlandfunk, gerade für das "Grenzmanagement" könne der Pass interessant sein. Seitdem Deutschland an den Grenzen zu Tirol und Tschechien wieder kontrolliert und negative Corona-Tests vor der Einreise verlangt, klagen vor allem Unternehmen und das Gesundheitswesen, dass ihnen ihre Arbeitskräfte fehlen. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sieht eine längst in Gang gesetzte Dynamik. Er sagte im ZDF:
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hält den Impfpass auch für den innerdeutschen Reiseverkehr einsetzbar. "Ich kann mir das auf jeden Fall vorstellen. Ich glaube ohnehin, dass Öffnungen in dem Bereich nur möglich sind, wenn wir bestimmte Restriktionen machen", so Günther bei RTL.
Tourismusverband: Nicht auf lange Bank schieben
Die Reisebranche macht Druck: Der digitale Impfnachweis dürfe "jetzt nicht auf die lange Bank geschoben werden", sagt Norbert Kunz, Geschäftsführer des Deutschen Tourismusverbandes, zu ZDFheute. "Vor allem brauchen wir den Impfpass deutlich vor dem Sommer." Der Verband habe bereits eine Strategie vorgelegt, wie die Öffnung unterhalb einer Inzidenz von 50 Neuinfektinen pro 100.000 Einwohner gelingen könne. "An der Umsetzung vor Ort wird es nicht scheitern", so Kunz.
Der Tui-Konzern geht davon aus, dass Reisen im Sommer 2021 möglich sein wird – "sicher und verantwortungsvoll", wie Fritz Joussen, Chef des Reiseveranstalters sagt. Dabei setzt er auf eine Kombination von Impfpass und Test für die Nicht-Geimpften. Auch British-Airways setzt darauf: Pässe "werden der Schlüssel sein, um Flüge und Reisen wieder zu starten", sagt Konzernchef Luis Gallego.
Impfpflicht durch die Hintertür?
In den Sozialen Netzwerken fühlen sich einige nun bestätigt: Durch den Impfpass werde eine Impfpflicht durch die Hintertür eingeführt. Die AfD befürchtet eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft": "Menschen, die sich nicht freiwillig impfen lassen, werden sich künftig in der EU nicht mehr frei bewegen können", befürchtet Paul Podolay, Gesundheitsexperte seiner Fraktion im Bundestag. Podolay:
Bislang hatte die Bundesregierung eine andere Behandlung von Geimpften vor allem deswegen ausgeschlossen, weil es nicht sicher sei, ob sie das Virus noch übertragen. Thomas Bareiß, Tourismusbeauftragter der Bundesregierung, verwies im ZDF auch auf den knappen Impfstoff: "Wir sollten abwarten, bis jeder die Chance hatte, geimpft zu werden. Dann haben wir Sicherheit und Reisen für alle ist wieder möglich." Der Deutsche Ethikrat hatte sich ebenfalls dagegen ausgesprochen, Geimpfte zu bevorzugen.