Am Tag nach der gescheiterten Impfpflicht ist die Ratlosigkeit groß. Ampel-Politiker sind bemüht, dass nichts an der Koalition hängen bleibt. Trotzdem wirkt sie angeknackst.
"Es ist nicht sehr demokratisch, so zu tun, als wäre das ein Unfall." Es geht auf Mitternacht zu, als Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach den Folgen der Bundestagsentscheidung gefragt wird. Seine Impfpflicht, seine Strategie eine parteiübergreifende Mehrheit im Parlament zu finden, sein letztes Mittel gegen die Corona-Pandemie: Alles ist am Donnerstag gescheitert. Und nun?
Scholz: Keine Mehrheit für neue Impfpflicht
Scholz sagt, er sei enttäuscht, er bedauere das. Einen neuen Anlauf, eine Mehrheit zu finden, will er nicht unternehmen. "Es gibt keine Mehrheit für eine Impfpflicht", sagt er. Das sei eine Realität. Ob er sich zu wenig für die Impfpflicht eingesetzt habe? Scholz:
Wenn es kein Unfall war, sind die Bremsspuren innerhalb der Ampel-Koalition vielleicht schon ausgeprägter? In der Corona-Politik setzt sich bislang vor allem die FDP durch. Die Maskenpflicht war ein anderes Beispiel. Am Tag nach der Impfpflicht-Schlappe für Grüne und SPD, vier Monate nach Amtsantritt dieser ersten Dreierkonstellation versuchen alle, den Schaden zu begrenzen. Aber Risse sind offensichtlich.
Lauterbach sieht kein Problem mit der FDP
Neben Scholz könnte diese Impfpflicht-Niederlage vor allem an Gesundheitsminister Karl Lauterbach kleben. Durch sein Kommunikationsdesaster mit den Ländern bei der Quarantäne-Verordnung ist er ohnehin angeschlagen. Er spricht am Freitag von einer "klaren und bitteren Niederlage", "natürlich" auch für ihn persönlich. Aber, im Gegensatz zum Tag zuvor, ist er am Freitag auf Scholz-Linie.
Ein neuer Anlauf für die Impfpflicht zusammen mit der Union sei "sehr unwahrscheinlich", so Lauterbach, da sei er "sehr pessimistisch". Sein "Wir geben nicht auf, wir machen weiter" von Donnerstag wiederholt er zwar, bezieht es aber jetzt auf den Coronaschutz, nicht mehr auf eine neue Gesetzesinitiative zur Impfpflicht.
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Ein prinzipielles Problem innerhalb der Ampel sieht Lauterbach nicht. Die FDP würde nicht die Regierungspolitik bestimmen.
Die Impfpflicht sei eine Entscheidung des Bundestages gewesen, deswegen ihr Scheitern auch keine Niederlage der Koalition oder von Scholz, so Lauterbach. Er habe in der Debatte als Abgeordneter, nicht als Minister gesprochen, deswegen sehe er keinen Grund für einen Rücktritt. Dass die Ampel-Parteien in der Corona-Politik nicht immer auf einer Linie seien, sei bekannt und gehöre dazu.
Grünen: Wir haben "unterschiedliche Perspektiven"
Bei den Grünen ist man weniger zuversichtlich. Die Impfpflicht-Niederlage ist offensichtlich mehr als nur ein Ausrutscher. Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen, der mit Lauterbach für den Ü60-Kompromiss gekämpft hatte, sieht einen prinzipiellen Dissens mit der FDP, zwischen der Freiheit für wenige gegen Freiheit für alle:
Man schaue aus "unterschiedlichen Perspektiven" auf die Dinge, das bereitet der Ampel bei Beschlüssen "einmal mehr Probleme", so Dahmen im ZDF.
In der Ampel gebe es "ein sehr unterschiedliches Wertefundament beim Gesundheitsschutz", so der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen nach der Abstimmung über die Impfpflicht.
Union macht Angebote - oder auch nicht
Neben der Union und der AfD hatte die FDP als Teil der Koalition fast geschlossen gegen den Impfpflichtvorschlag von SPD und Grüne gestimmt. Plötzlich gibt es bei dieser Abstimmung wieder eine schwarz-gelbe Allianz im Bundestag.
Für die Union ist die Uneinigkeit innerhalb der Ampel willkommen. Was sie daraus machen wird, deutete sich in der gestrigen Debatte schon an: Durch das Betonen in jeder Rede, die Union sei für eine neue Gesetzesinitiative gesprächsbereit, sollte deutlich gemacht werden: An uns liegt es nicht! CDU-Vorsitzender Friedrich Merz wird heute noch einmal deutlich: