Weltärztechef Montgomery sagt, er verstehe "den ganzen Aufstand" gegen die Corona-Impfung nicht. Er appelliert im ZDF-Interview an das soziale Verantwortungsgefühl Ungeimpfter.
ZDFheute: Sie haben vor kurzem von einer "Tyrannei der Ungeimpften" gesprochen. Inzwischen plädieren immer mehr Politiker für eine Impfpflicht zur Überwindung der Corona-Pandemie. Aber würde eine Impfpflicht nicht dem Wesen unserer Demokratie widersprechen?
Frank Ulrich Montgomery: Nein, gar nicht! Wir haben ein Grundgesetz, das nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten der Bürger beinhaltet. Unter anderem haben wir eine soziale Verantwortung, was bedeutet: Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit anderer Menschen tangiert wird. Wenn ich in der Ausübung meiner Freiheitsrechte zu einem Risiko für andere werde, muss ich hinnehmen, dass man meine Rechte einschränkt. Im Übrigen ist eine Impfpflicht kein Impfzwang.
Er wird aber Einschränkungen seiner bürgerlichen Freiheiten hinnehmen müssen. Dass er zum Beispiel keine Restaurants besuchen, keine Bahn- oder Flugreise unternehmen kann. Er wird aber weiter Lebensmittel oder Medikamente kaufen können.
ZDFheute: Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, berufen sich auch auf das Grundgesetz. In Artikel 2 heißt es: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit."
Montgomery: Da betone ich das "Jeder" und wenn ich mit meinem Verhalten das Leben anderer gefährde, weil ich sie mit einer Krankheit anstecke, dann muss ich ertragen, dass ich mir in dem Fall eine Impfpflicht zumuten lassen muss. Wir wissen zwar inzwischen, dass auch die Impfung nicht hundertprozentig vor der Covid-Erkrankung schützt. Wir wissen aber auch, dass die Möglichkeit, andere anzustecken, dank einer Impfung massiv reduziert wird – um etwa 86 Prozent!
Hinzu kommt, dass Geimpfte ein viel geringeres Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs haben als ungeimpfte Menschen. Betrachtet man die Situation in den Kliniken, ist es so, dass ungeimpfte Covid-Patienten viel länger Betten belegen, wodurch die Behandlung etwa von Krebspatienten verschoben werden muss.
ZDFheute: Die vierte Corona-Welle hat Deutschland härter getroffen als die vorherigen. Gleichzeitig scheinen Kliniken vor allem durch Personalmangel schlechter gewappnet zu sein. Lenkt die Debatte um eine Impfpflicht nicht von strukturellen Defiziten des Gesundheitssystems ab?
Montgomery: Wir haben Strukturprobleme in deutschen Krankenhäusern, gar keine Frage. Aber gerade auf den Intensivstationen fragen sich sehr viele Pflegekräfte und Ärzte, warum sie ihr eigenes Leben riskieren und den ganzen Aufwand betreiben müssen, wo es doch das Hilfsmittel der Impfung gibt.
Bernd Böttiger, Direktor der Intensivmedizin an der Uniklinik Köln, über die hochdramatische Lage auf den Intensivstationen.
ZDFheute: Für welchen Personenkreis sollte aus Ihrer Sicht die Impfpflicht gelten?
Montgomery: Solange es von der Ständigen Impfkommission keine eindeutige Empfehlung für die Impfung von Kindern gibt, kann es natürlich nur eine Impfpflicht für Erwachsene geben.
Wir impfen 98 Prozent der Neugeborenen mit den Grundimpfungen und da ist sehr viel mehr drinnen als in dem einen Impfstoff gegen Corona. Ich verstehe den Aufstand gar nicht. Viele Menschen sind doch gegen alles Mögliche geimpft. Warum wollen sie sich denn nicht gegen Corona impfen lassen, womit sie vielen anderen auch helfen würden?
ZDFheute: Ein Hauptargument lautet, dass die Impfstoffe noch nicht lang genug erprobt seien.
Montgomery: Die Corona-Impfstoffe sind inzwischen die weltweit am besten untersuchten Impfstoffe. Die mRNA-Impfstoffe können aufgrund ihres Wirkmechanismus auch keine Langzeitfolgen haben.
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Das Problem ist: Einige Menschen treffen massive Fehlinterpretationen und senden ihre abstrusen Botschaften über alle möglichen Kanäle an ein aufnahmebereites Klientel, das darin Gründe findet, sich nicht impfen zu lassen. Doch gerade angesichts neuer Gefahren durch Mutationen müssen wir versuchen, jede Infektion zu verhindern und das geht am besten über das Impfen.
Das Interview führte Marcel Burkhardt.
- Warum die Intensiv-Lage so angespannt ist
Die Corona-Neuinfektionen sind so hoch-, Personal auf den Intensivstationen so knapp wie nie. Warum sich die Lage gegenüber der 2. und 3. Welle verschärft hat: