Mit dem Rückzieher Bayerns nimmt in der Politik der Streit über die Impfpflicht in Pflege und Medizin Fahrt auf. Die Branche selbst verlangt klare Regelungen.
Bayerns Ministerpräsident Söder will die Impfpflicht für Pflege- und Klinikpersonal aussetzen. Gesundheitsminister Lauterbach wirkt überrumpelt.
Mitte März sollte sie eigentlich kommen, die Corona-Impfpflicht in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen - aber es herrscht Streit. Spätestens seit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder angekündigt hat, das Vorhaben vorerst nicht umzusetzen.
"Das ist schlicht irritierend", sagte der designierte Grünen-Chef Omid Nouripour mit Blick auf das bayerische Vorgehen. Im ZDF-Morgenmagazin mahnte er:
"Es ist schlicht irritierend - es ist ein Bundesgesetz und muss umgesetzt werden", sagt Grünen-Chef Omid Nouripour zu der Ankündigung Bayerns, die einrichtungsbezogene Impfpflicht auszusetzen.
Es gehe nicht, dass "plötzlich ein Land ausscheidet und sagt, wir wollen Recht und Gesetz nicht umsetzen", so Nouripour weiter. Der Grünen-Politiker räumte offene Fragen ein - umso mehr müssten Bund und Länder aber nun an einem Strang ziehen. Dafür gebe es entsprechende Runden. Der Union warf er vor, ausgerechnet in dieser Frage "ihre Oppositionsrolle schärfen zu müssen".
Lauterbach hofft auf "ganz normale Vernunft"
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach indes geht weiter davon aus, dass auch Bayern die Impfpflicht für Pflege- und Klinikpersonal umsetzt. Zwar gebe es keine "Mechanik", Regierungschef Söder dazu zu zwingen. "Ich hoffe, wir können hier mit der ganz normalen Vernunft auch arbeiten", sagte der SPD-Politiker im ZDF heute journal.
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans dagegen fordert, den Vollzug des Gesetzes bundesweit auszusetzen. Es brauche "bundeseinheitliche Anwendungen", sagte er der ARD. "Nur dann ist dieses Gesetz ein gutes Gesetz, derzeit ist es ein schlechtes Gesetz." Eine unterschiedlich scharfe Umsetzung des Gesetzes in den Ländern führe zu einem "unverantwortlichen Verschiebebahnhof der Pflegekräfte". Damit sei den zu schützenden Personen nicht geholfen.
Branche für Impfpflicht und klare Regelung
"Es ist kein Widerspruch, Impfbefürworter zu sein und die einrichtungsbezogene Impfpflicht abzulehnen", sagte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, der "Rheinischen Post". Der Ausfall von Zehntausenden Pflegekräften, die administrativen Probleme vor Ort und die Hürden des Arbeitsrechts seien vorhersehbar gewesen. Den Vollzug des Gesetzes auszusetzen, sei jedoch keine Lösung. Dies schaffe Raum für Willkür, so Brysch.
"Pflege ist kein Spielball von Politik und Bürokratie", mahnte auch der Berufsverband für Pflegeberufe. Um den "Einrichtungen, den Beschäftigten und vor allem den Menschen mit Pflegebedarf Sicherheit zu geben, brauchen wir bundeseinheitliche, klare und gut begründete Regelungen", sagte Verbandspräsidentin Christel Bienstein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Sie befürworte die einrichtungsbezogene und allgemeine Impfpflicht. Die aktuelle Debatte verschleiere aber, dass der Personalmangel in den Pflegeberufen seit Jahrzehnten bekannt ist.
Intensivpfleger: Kommunikation verbessern
Die Politik mache sich durch dieses "Wirrwarr an Kommunikation" unglaubwürdig, kritisierte Ricardo Lange, Berliner Intensivpfleger und Autor. Im ZDF heute journal update sagte er: Söder sei einer der ersten gewesen, der die einrichtungsbezogene Impfpflicht gefordert habe. Jetzt ziehe er sie wieder zurück. "Das ist wie in der ganzen Pandemie: Es werden immer zwei Schritte vor dem ersten gemacht. Man bringt Debatten ins Spiel, die dann nicht durchdacht sind und dann wieder zurückgenommen werden."