Weil in der EU Impfstoff knapp ist, verhandeln Regierungen mit Händlern, die angeblich schneller liefern. Astrazeneca spricht von Betrug, Spahn von "Goldgräberstimmung".
Dubiose Geschäfte mit dem Impfstoff
In einem Stuttgarter Nobelhotel treffen wir einen Arzt bosnischer Herkunft. Der Mann handelt mit Medizinprodukten und verspricht Unglaubliches: Er könne Covid-19-Impfstoff besorgen. "Astrazeneca, Biontech, kein Problem."
Voraussetzung: Er brauche eine offizielle Bestellung einer Regierung. Bezahlt werde erst nach Lieferung und Prüfung der Ware.
-
"Graumarkt" für Impfstoff?
Einige Länder haben bei dem Stuttgarter Arzt und seinen Geschäftspartnern bereits geordert, darunter Barbados, die Dominikanische Republik und das EU-Mitglied Slowakei. Angefragt sind Millionen von Impfdosen, obwohl die Preise ein Vielfaches von dem ausmachen, was die EU bezahlt. So steht es in Unterlagen, die Frontal21 vorliegen.
Doch kann es wirklich sein, dass Astrazeneca- und Biontech-Impfstoff über Zwischenhändler zu erhöhten Preisen vermarktet wird? Schließlich ist Astrazeneca mit seinen Lieferungen an die EU im Rückstand.
Und auch Biontech sprach Anfang des Jahres noch von Produktionsengpässen. Wie ist es dann möglich, dass Impfstoffe dennoch an der EU vorbei, auf einer Art "Graumarkt" gehandelt werden?
Astrazeneca: Angebote "wahrscheinlich Fälschungen"
Gegenüber Frontal21 erklärt eine Konzernsprecherin von Astrazeneca, es gebe derzeit "keine Lieferung, keinen Verkauf oder Vertrieb des Impfstoffs durch den privaten Sektor".
Der Stuttgarter Arzt bezieht seinen Impfstoff über einen Großhändler in den USA, die Firma Akers Nanotechnology in New Jersey. Das Unternehmen weist den Vorwurf, mutmaßlich Fälschungen zu verkaufen, von sich.
Schriftlich teilt die Firma mit, sie sei Vertriebspartner von Astrazeneca in den USA und habe als Pharmagroßhändler eine offizielle Lizenz, Impfstoffe weiterzuverkaufen.
Akers Nanotechnology teilte mit, es könne Covid-19-Impfstoffe weltweit liefern. Aufgrund von Exportbestimmungen gäbe es derzeit lediglich Verzögerungen.
Slowakei äußert keine Zweifel an Zuverlässigkeit der Vertragspartner
Wie seriös ist die Sache? Wir kontaktieren das Gesundheitsministerium der Slowakei. Das Land hat eine Million Impfstoff-Dosen von Biontech bei Zwischenhändlern geordert. "Der Vertrag ist noch nicht abgeschlossen", erklärt Zuzana Eliášová, die Ministeriumssprecherin, "Aber die Verhandlungen sind schon gelaufen."
Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Vertragspartner äußert sie keine. Warum aber bestellt das EU-Land Slowakei zu deutlich höheren Preisen bei Zwischenhändlern, anstatt - wie vereinbart - über die EU-Kommission direkt den Herstellern? "Wir haben in der Slowakei primär versucht, den Impfstoffkauf über den zentralen Ankauf der Europäischen Kommission zu regeln." Doch man brauche jetzt schnell mehr und sicheren Impfstoff. "Wir wollen das Tempo erhöhen".
An die Slowakei liefern soll die deutsche Firma CS Diagnostics aus Neuss. Die Firma ist ein Partner von Doktor O. Auch Akers Nanotechnology aus den USA ist wieder involviert. Auf Nachfrage lässt uns CS Diagnostics über einen Anwalt mitteilen: "Der Verkauf des Biontech-Impfstoffes ist legal. Unsere Mandantschaft kauft den Impfstoff (…) direkt beim Hersteller, also bei Biontech/Pfizer oder bei vom Hersteller offiziell autorisierten Vertretern, sog. Distributoren. Erfolgt der Ankauf (…) über einen Distributor, erfolgt ein Ankauf nur, wenn der Distributor nachweisen kann, vom Hersteller autorisiert zu sein." Dieser Nachweis stehe im Fall Slowakei noch aus.
BioNTech hat auf die Frontal-21-Recherchen reagiert und erklärt: "Kein privater Händler in Deutschland ist autorisiert, den Impfstoff zu verkaufen. BioNTech und Pfizer haben Impfstoffe bis heute ausschließlich an Regierungen oder regierungsähnliche Organisationen wie die Europäische Kommission verkauft. Die Qualität und Wirksamkeit eines Impfstoffs, der über nicht autorisierte Kanäle in Umlauf gebracht wird, kann von uns als Hersteller nicht garantiert werden und könnte möglicherweise Leben gefährden."
Wie AstraZeneca gibt auch BioNTech an, nichts von den Geschäften zu wissen, die Händler mit ihren Impfstoffen anbahnen.
Spahn: Impfstoff-Handel grundsätzlich möglich
Ist der Verkauf von Biontech- und Astrazeneca-Impfstoffen durch Zwischenhändler überhaupt legal? "Ja", sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf Frontal21-Nachfrage.
Man könne zwar nicht einfach Impfstoffe importieren, aber wenn alle erforderlichen Genehmigungen vorliegen, sei der Impfstoff-Handel erlaubt. Es sei auch hier wie immer in der Pandemie: