SPD-Politikerin Schwesig fürchtet eine kritische Corona-Situation durch die Delta-Variante und die Reisewelle. Sie fordert eine Analyse der Impferfahrung von Kindern im Ausland.
Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) hat die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 1. August eine Impfstrategie für Kinder vorzulegen. Gemeinsam mit Epidemiologen, den Experten der Ständigen Impfkommission (Stiko) und Kinderärzten müsse analysiert werden, welche Erfahrungen England, Portugal und Israel mit der Delta-Virusvariante sowie Impfungen von Kindern gemacht haben, sagte Schwesig in der ZDF-Sendung "maybrit illner". Dann müsse über die Impfmöglichkeit für Kinder entschieden werden.
Vor dem Hintergrund von Befürchtungen, die derzeit einsetzende Reisewelle könne wegen der hoch ansteckenden Delta-Variante erneut zu einer kritischen Pandemiesituation führen, forderte Schwesig erneut zwei verpflichtende PCR-Tests und fünf Tage Quarantäne für Reiserückkehrer. Auf die Frage, warum dieser Vorschlag auf der Impfberatung der Ministerpräsidenten der Länder mit Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) in dieser Woche keine Mehrheit fand, sagte die SPD-Politikerin: "Das kann ich Ihnen auch nicht sagen."
Schwesig: Mehr Kompetenz für Länder
Vor der Beratung habe es Zustimmung zu diesem Vorschlag gegeben. Sie "stelle leider fest", dass sich Vorschläge nicht immer gleich durchsetzen. Wünschenswert wäre, dass die Bundesländer in Fällen, in denen Entscheidungen im Bund zu lange dauerten, "wieder selbst handeln können".
Unterstützung für ihre Initiative zur Einreiseregelung bekam Schwesig von FDP-Chef Christian Lindner. Der Vorschlag sei ein "guter Debattenbeitrag", müsse aber noch "wissenschaftlich abgestützt werden". Darüber hinaus wäre "das doch eigentlich jetzt der richtige Anlass, um innerhalb der Europäischen Union über diese Fragen zu sprechen", sagte Lindner. Er rate der Bundesregierung, Brüssel anzurufen und im Europäischen Rat eine gemeinsame Linie zu finden.
Drohen bald englische Zahlen?
Helga Rübsamen-Schaeff, Chemikerin und Biochemikerin, gab zu bedenken, dass das Deltavirus bereits im Land sei und bereits in der Hälfte der Infektionen nachgewiesen werden kann. "Wenn wir nicht verdammt aufpassen, dann haben wir bald englische Zahlen", erklärte sie. Rübsamen-Schaeff sprach sich zudem für die Freiwilligkeit bei der Impfung aus. Eine Impfung mit Johnson & Johnson hält die Biochemikerin in Brennpunkten für eine gute Maßnahme. Zudem sprach sich Rübsamen-Schaeff für die Impfung von Kindern aus:
Laut Lisa Federle, Ärztin und Pandemiebeauftragte des Landkreises Tübingen, ist es ein Problem, dass die Menschen aktuell überall hinreisen. Sie ist sich sicher: "Das wird uns noch einholen". Nach Ansicht der Ärztin müsse die Gesellschaft lernen mit dem Virus zu leben, auf längere Zeit: "Wir reden jetzt über Delta, vielleicht reden wir in zwei Monaten über Omega."
Federle: Vorsicht bei Impfung von Kindern
Federle gab zu bedenken, dass auch die Lage der jungen Menschen nicht aus den Augen verloren werden darf, gerade in Bezug auf Depressionen und suizidale Gedanken. "Auch das sind potenzielle Tote", konstatierte sie. Bezüglich der Impfung von Kindern ist Federle zurückhaltend: "Wir haben aktuell noch nicht so viele Daten, deshalb sollten wir vorsichtig sein."
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, sieht keine Hinweise auf schwerere Krankheitsverläufe bei Kindern und Jugendlichen durch die Delta-Variante. "Wenn man sich die Daten genau anschaut, sowohl der ECDC als auch der UK-Berichterstattung, dann kann man eigentlich nicht finden, dass es einen Hinweis darauf gibt, dass die Delta-Variante zu schwereren Krankheitsverläufen bei Kindern und Jugendlichen führt", sagte er in einem für "maybrit illner" geführten Interview.
Mertens: Effekte der Delta-Variante gering
Die "etwas hektischen Meldungen über die Bedeutung der Delta-Variante in dieser Altersgruppe" sei daher nicht nachvollziehbar. Natürlich wisse die Stiko, dass es, wenn man die Kinder und Jugendlichen nicht impft, vermehrt Infektionsfälle geben werde. Aber "die Auswirkungen auf die Hospitalisierung sowohl in dieser Altersgruppe als auch in der Gesamtbevölkerung ist eher gering" und damit auch auf den weiteren Verlauf der Pandemie in Deutschland unwesentlich, betonte Mertens.